Fabian Kettner

Eske Bockelmann: Im Takt des Geldes. Zur Genese modernen Denkens

Über ein unvollendetes Meisterwerk

Geld beherrscht die Welt, das wissen alle. Es ist nicht bloßes Tauschmedium der ökonomischen Sphäre; es dehnt seinen Machtbereich aus, ersetzt gesellschaftliche Kommunikationsformen und bedroht die Lebenswelt. Geld bestimmt das Handeln der Menschen nicht nur als Medium der alltäglichen Reproduktion, in Form von Arbeitslohn und Einkaufsmittel, es befördert nicht nur Charaktereigenschaften wie Gier und Geiz, es beeinflusst nicht nur die Weltsicht der Menschen, die entsetzt feststellen, dass in seiner Sphäre die Dinge ihren Glanz verlieren und gemein werden. Geld ist nicht nur Auslöser und Indikator von gesellschaftlichen Zuständen und Verkehrungen, sein Einfluss auf das bewusste wie unbewusste Denken geht noch tiefer: nicht nur wird das Denken auf Geld ausgerichtet, auf dessen Erwerb und Vermehrung, sondern modernes Denken selber, seine Form, wird vom Geld konstituiert.

All dies wurde bspw. von und nicht erst seit Friedrich Nietzsche und Georg Simmel immer wieder konstatiert, beiläufig bemerkt und immer wieder einer ausführlichen Untersuchung für wert befunden – die dann stets ausblieb. Selbst dem Autor, der sich hiermit sein Leben lang herumschlug, Alfred Sohn-Rethel, gelang kein überzeugender Nachweis dieses Zusammenhangs. Auch er gelangte nicht darüberhinaus, eine „überraschende Übereinstimmung“, ja eine „Porträtähnlichkeit“ von Warenform und Denkform festzustellen. Der kleine Boom der Sohn-Rethel-Literatur, in der zumeist die Ahnungen und der Problemstand nur immer wieder neu zusammengefasst wurden, ist seit ca. zwanzig Jahren vorbei.

Nun kommt einer und versucht es von neuem: Altphilologe, Lateindozent, ehemaliger Dramaturg, unbekannt, ohne marxistischen und adornitischen Stallgeruch. Eske Bockelmann legt die bislang gründlichste und reflektierteste Untersuchung zu diesem Thema vor, die alle bekannten Fehler zu vermeiden sucht. Dass er sich dabei nicht auf die bereits vorliegende Literatur bezieht, ist ihm nicht als Vermessenheit anzukreiden (wie H.M. Lohmann im Deutschlandfunk (21.06.2004) meinte [1]), sondern gerade sein Vorzug. Beim Lesen seines Buches meint man zu merken, wie sie untergründig mitklingt, wie Bockelmann mit ihr in einem unsichtbaren Dialog steht, indem er es besser macht als sie. Ihm geht es nicht um das Unzulängliche, das andere vor ihm gesagt haben (und auch Sohn-Rethel taucht im Literaturverzeichnis nur in einer besonderen Vorbemerkung auf), sondern um die materiale, inhaltliche Durchführung des Nachweises, wie Geld das Denken von seinen Grundlagen her prägt und bestimmt. Dies zeigt er anhand der Theoriegeschichte von drei verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen. Er beginnt mit einer, die zunächst überrascht: der Taktlehre. Rhythmus erscheint als etwas ganz Natürliches, ja als in der Natur vorkommend. Bockelmann zeigt aber zum einen, dass die Hörer den Rhythmus von betont/unbetont in eine Klangfolge selbst hineinlegen (dass sie sie also zu einem Rhythmus synthetisieren) und zum anderen, dass dieser Taktrhythmus erst seit dem 17. Jahrhundert Norm ist. Und dies ist die schönste und bestgeführte
Argumentation: in allen Disziplinen, die Bockelmann untersucht, kam es zu einem „tiefen, prinzipiellen Bruch.“ Eine neue Wahrnehmungweise, eine neue Art theoretischer Verarbeitung trat auf. Sie trat auf, sie kam hervor, sie war da. „Dieses Neue ... kommt auf, als wäre es nichts Neues, setzt sich durch, ohne dass es von jemandem durchgesetzt würde“ (106f.). So geschah es in den Naturwissenschaften (281ff.), in der Mathematik (298ff.) und in der Philosophie (374ff.), wie Bockelmann anhand der Literatur aus dieser Zeit luzide herausarbeitet. Allen dreien Disziplinen gemeinsam ist die Unwillkürlichkeit dieses neuen Denkens; dass es als Zwang wahrgenommen wird, den man sich nicht erklären kann und über den man sich keine Rechenschaft ablegt; dass es von Anfang an als Natur empfunden wird; und dass es – und damit hat man eines der besten Argumente gegen Thomas Kuhns berühmte Theorie vom „Paradigmenwechsel“ (vgl. 264ff.) und dessen ideologietheoretische Verwertung – von niemandem als neu ausgedachtes Programm ausgedacht wurde. Dieser Denkreflex kann nicht ausgedacht sein, sonst wäre er kein Reflex (127), und er wird erst dann Gegenstand der Reflexion, nachdem er schon da ist (132). Das Neue dieses Denkens – das kaum „Denken“ zu nennen ist, weil es unbewusst und unwillkürlich vollzogen wird – besteht in einer bestimmten synthetischen Leistung, die etwas zu ihren Elementen macht, die diese
Elemente zu Gruppen verbindet und ein Verhältnis herstellt (52). Wo aber kommt es her, wenn es nicht so natürlich ist, wie es wahrgenommen wird? Für das, was dieses Neue
bedingt, stellt Bockelmann exakte Kriterien auf:

  • es muss gesellschaftlich bedingt sein und auf jeden Einzelnen wirken;
  • es muss sich im Leben eines jeden Einzelnen notwendig einstellen und zwar so zuverlässig, als wäre es angeboren;
  • es muss eine sehr bestimmende Rolle spielen;
  • es muss diese Rolle unbemerkt spielen;
  • es kann die synthetische Bestimmung nicht an sich haben, sondern muss sie den Menschen abfordern;
  • es kann keine unmittelbare Eigenschaft eines Dings sein, sondern muss auf Handlungen beruhen, d.h. von den Subjekten in der Verbindung zwischen Dingen notwendig und aktiv hergestellt werden;
  • diese Handlung muss ein funktionales Beziehen abverlangen (160ff.).

All diese Anforderungen erfüllt das Geld. Es ist omnipräsent; es ist bezogen auf Inhalte, aber die Inhalte selber sind ihm egal. Es vollzieht eine synthetische Leistung: „zwei auf Inhalte bezogene, selbst aber nicht-inhaltliche Einheiten im reinen Verhältnis von bestimmt gegen nicht-bestimmt“ aufeinander zu beziehen (229). Wie aber kommt man vom Geld zum Denken? Dass Analogien bestehen, das wurde wie gesagt schon häufig
konstatiert. Durch die letzten drei der obigen Kriterien geht Bockelmann über eine bloße Analogie hinaus. Werteinheiten sind „nicht sichtbar, wahrnehmbar und dinglich greifbar“. Wert ist als solcher inexistent: er muss von den Menschen hinzugedacht werden. Er ist „ein Schemen, welches, ohne dass Menschen es denken würden, einfach nicht wäre.“ Gleichzeitig ist er kein Spiel der Phantasie, denn die Denkhandlung der Äquivalenz muss
vollzogen werden (178f.). Indem von den Subjekten zum Geld hinzu etwas vollzogen werden muss, indem sie den Umgang mit Geld, dem man sich nicht mehr entziehen kann, mit bestimmten gedanklichen Handlungen begleiten müssen, wird der Funken geschlagen, der die funktionale Synthesis entfacht. Warum es das Geld sein muss, das dem zugrundeliegt, das geht fast unter; vielleicht weil der Nachweis des
Zusammenhanges von Geld & Denken nicht Notwendigkeit und Zwangsläufigkeit folgt, sondern einer negativer Selektion ist: es „kann“ „nur das Geld sein“ (166) Es bleibt nichts anderes übrig, das die erforderlichen Kriterien erfüllt. [2]

Auch Bockelmann weiß um den „hohlen Klang der Analogie“ (156), auch er weiß, dass sich aus einer „Analogie der Phänomene allein“ sich nicht „die reale Möglichkeit ihrer Übertragung“ ergibt (154). Dass er leider immer wieder zu analogischen Beschreibungen greift, die vom unvorsichtigen Leser als Begründung aufgefasst werden könnten, [3] verwundert daher umso mehr. Doch zu zäh ist dieser alte Diskurs, der soviel Plausibilität erzeugt. Bockelmanns eigene Herleitung ist nachteilig gewichtet und eingeführt, taucht beiläufig auf und geht fast unter. Weil die Analogien überwiegen, liegt es nahe, sich auf diese zu stützen. Zweimal wird vor ihnen gewarnt, beide Male wird festgestellt, dass der genetische Zusammenhang noch fehle, - beide Male wird er nicht vorgeführt (154ff. und 305ff.).

Aber das ist Manöverkritik. Bockelmann vermeidet alle bekannten Fehler seines Gebiets. Er vertritt keine Zirkulationstheorie des Geldes, keine subjektive Wertlehre. Ausnahmsweise ist er einer, der sich auch hiermit auskennt. Er kann auch die historischen Spezifika des Geldes auseinanderhalten. Zwar sind seine Abschnitte über
Geld und Wert in etwas loser, philosophischer Diktion geschrieben, aber zumindest kann man ihm keine Fehler nachweisen. Desweiteren verknüpft er mit dem Nachweise der Herkunft von Takt etc. aus Geld nicht die moralische Abwertung oder kulturkonservative Verfemung der geldbestimmten Phänomene.
Nachdem der Zusammenhang von Geld & Denken einmal eingeführt ist, enerviert der Nachweis, dass auch in Naturwissenschaften, Mathematik und Philosophie der Geldreflex steckt, schnell ein wenig. Die Katze ist aus dem Sack, die Pointe weiß man vorab. Mit diesem Verfahren kann man sich nun durch die folgenden Jahrhunderte Theoriegeschichte arbeiten. Der Ton des Buches verspricht immer wieder Unerhörtes und Wagemutiges und ist deshalb so effekthascherisch und aufmerksamkeitsheischend, wie Bockelmann es dank seiner überlegt und überlegen geführten Argumentation gar nicht nötig hätte. Deswegen kann man über ihn gerne hinweglesen. Im Leibniz-Kapital aber mutiert er zu einer peinlichen direkten Auseinandersetzung mit dem Werk des Philosophen.
Ist tatsächlich alle Philosophie das unbewusste Nach-Denken von Wert, Geld und Kapital, die „Übertragung“ (230), die „Anwendung“ (241) der funktionalen Synthesis auf die Totalität? Und wozu weist man dies nach? Will man die Tradition entehren? Und was will man sonst? Was tut man, nachdem man die Klassik entzaubert hat – ohne kritische Perspektive der Aufhebung? Man kann sich in das scheinbar Unvermeidliche schicken (wie bspw. bei Christoph Deutschmann [4]) oder es noch martialisch verehren und übersteigern (wie bei Pierre Klossowski [5]). Sicherlich ist Bockelmann kein kleinbürgerlicher tollkühner Wagestolz, also kein neuer Max Stirner, wie die
Süddeutsche Zeitung irrigerweise meinte (02.08.2004). Natürlich braucht Kritik nicht konstruktiv zu sein, aber sie sollte wissen, zu wem sie sich u.U. gesellen könnte. Und man sollte wissen, mit wem man in welcher historischen Konstellation die Metaphysik stürzt, anstatt mit ihr „solidarisch“ zu sein „im Augenblick ihres Sturzes“ (Adorno). [6]

Dass ausgerechnet eines der Orakel des Kapitals, die Financial Times Deutschland, bemängelt, dass die Diagnose schön & gut sei, die Kritik an Wert, Geld und Kapital aber fehle (16.06.2004), verwundert zwar, stimmt aber. Dass Natur keine ist, sondern nur Quasi-Natur, gesellschaftlich und historisch bedingte Verhältnisse, die sich selbst als natürlich, ewig und notwendig darstellen, - dieser Nachweis wird normalerweise geführt, um die Veränderbarkeit dieser Verhältnisse aufzuzeigen und ihre Abschaffung wenigstens theoretisch zu antizipieren. Davon scheint bei Bockelmann nichts auf. Bei der Lektüre des Buches kommt man nicht umhin, eine merkwürdige Interesselosigkeit zu konstatieren. Im Takt des Geldes ist ein Buch über Geld und das, was es bewirkt, und man findet kein Wort der Kritik am Kapitalverhältnis. Man muss dies nicht. Die Analyse
Bockelmanns wird dadurch um keinen Deut schlechter. Eine bloß additiv angehängte Moralisierung machte es nur schlecht. Aber so wie es ist, weiß man nicht, wohin es führen könnte.
An einer Stelle bricht Bockelmann aus dem bloßen Nachvollzug der Geld-Logik. Er schreibt hier über den Widerstand, der sich seiner Diagnose entgegenstemmt. Wie Theodor W. Adorno und Günther Anders stellt er fest, dass die Menschen das Heteronome noch verteidigen, um es besser ertragen zu können. Das, was einem angetan wurde und was man sich selbst antut, muss man als notwendig und unausweichlich darstellen, um sich die narzisstische Kränkung zu ersparen, dass seine Versehrung bislang zwar unausweichlich war, in einer anderen Gesellschaft aber auch überflüssig sein könnte. „Man empfindet diese Möglichkeit“, den zwingenden Denkreflex
zu durchbrechen, „nur als Drohung ..., noch das Zwingend-Selbstverständlichste, was unserem Denken zugrundeliegt, könnte sich verändert zeigen und mit einem Mal anders zu denken sein.“ Zur unbewussten Anwendung der funktionalen Synthesis kommt eine affektbesetzte Bindung an sie hinzu. Der Widerstand gegen die narzisstische Kränkung, dass nicht man selbst es ist, der da denkt, sondern dass man etwas anderem gehorcht,
während man zu denken meint, „gehorcht“ auch noch dem Reflex (236). Er entspringt ihm aber nicht, er weist auch keine Formverwandtschaft mit ihm auf; er ist eine befestigende, ideologische Zusatzleistung. Das „Leibliche“ (Adorno) tritt hinzu, das beschädigte Individuum wird sichtbar. Liegt hier der sorgfältig verborgene
Stachel, der die Motivation für dieses Buch war?

ESKE BOCKELMANN: Im Takt des Geldes. Zur Genese modernen Denkens
zu Klampen, Springe 03.2004
ca. 510 Seiten, Euro 36,00
ISBN 3-934920-37-3