Rolf Hecker

Einfache Warenproduktion

Anmerkung

Nachfolgend die Originalfassung des Artikels "einfache Warenproduktion" für das von Wolfgang Fritz Haug herausgegebene "Historisch-Kritische Wörterbuch des Marxismus", Band 3: Ebene bis Extremismus. Der darin unter diesem Stichwort veröffentlichte Beitrag (Sp. 119-126) wurde von der Redaktion des Wörterbuches ohne Rücksprache mit dem Autor inhaltlich verändert.

Der von Engels eingeführte Begriff der eWP verdeutlicht eine epistemologische Differenz im Verständnis des Anfangs von K I: für Marx wird K I eröffnet mit dem Kapitalismus, für Engels mit dem Vorkapitalismus. Engels bringt den Begriff erstmals in seinem Vorwort zu K III (1894): "Es versteht sich ja von selbst, daß man sie [die Begriffe] nicht in starre Definitionen einkapselt, sondern in ihrem historischen resp. logischen Bildungsprozeß entwickelt. Danach wird es wohl klar sein, warum Marx am Anfang des ersten Buchs, wo er von der einfachen Warenproduktion als seiner historischen Voraussetzung ausgeht, um dann weiterhin von dieser Basis zum Kapital zu kommen — warum er da eben von der einfachen Ware ausgeht und nicht von einer begrifflich und geschichtlich sekundären Form, der schon kapitalistisch modifizierten Ware." (MEW 25, 20)

Es gibt jedoch eine längere Vorgeschichte dieser Interpretation von Marx’ Methode bei Engels. Bereits in einer Rezension von Zur Kritik (1859) führt er aus, dass die "logische Behandlungsweise [...] allein am Platz" war. "Diese aber ist in der That nichts andres als die historische, nur entkleidet der historischen Form und der störenden Zufälligkeiten. Womit diese Geschichte anfängt, damit muß der Gedankengang ebenfalls anfangen [...]. Wir gehen bei dieser Methode aus von dem ersten und einfachsten Verhältniß das uns historisch, factisch vorliegt [...]. Die politische Oekonomie fängt an mit der Waare, mit dem Moment, wo Produkte — sei es von Einzelnen, sei es von naturwüchsigen Gemeinwesen — gegen einander ausgetauscht werden." (MEGA II.2, 253; MEW 13, 475) Dabei belegt bereits der erste Satz in Zur Kritik, dass es Marx um die Ware als "elementarisches Dasein" des bürgerlichen Reichtums geht statt um "naturwüchsige Gemeinwesen" (107; 15).

Das Problem des "Anfangs" taucht beim Lesen der Korrekturbogen der Erstauflage von K I erneut auf. Engels fordert von Marx, die Wertform in einem Exkurs über den historischen Weg der Geldbildung zu behandeln (Brief vom 16. Juni 1867, MEW 31, 303). Marx antwortet noch vor der Veröffentlichung ablehnend, dass der Rat befolgt und auch nicht befolgt sei, d.h. er habe sich "dialektisch" verhalten (22. Juni 1867, MEW 31, 306; vgl. MEGA II.6, 731ff).

Sowohl im Anhang zur Erstauflage als auch in der 2. überarbeiteten Auflage von K I (1873) ist die Einteilung in eWP und kapitalistische WP nicht zu finden. Für Marx ist der Ausgangspunkt in K I die kapitalistisch produzierte Ware, der Warenaustausch, die Warenzirkulation: "Derartige Formen bilden eben die Kategorien der bürgerlichen Oekonomie. Es sind gesellschaftlich gültige, also objective Gedankenformen für die Produktionsverhältnisse dieser historisch bestimmten gesellschaftlichen Produktionsweise, der Waarenproduktion." (MEGA II.6, 106f; MEW 23,90)

Die ökonomischen Kategorien tragen natürlich ihre geschichtliche Spur: "Um Waare zu werden, darf das Produkt nicht als unmittelbares Subsistenzmittel für den Producenten selbst producirt werden. Hätten wir weiter geforscht: Unter welchen Umständen nehmen alle oder nimmt auch nur die Mehrzahl der Produkte die Form der Waare an, so hätte sich gefunden, dass dieß nur auf Grundlage einer ganz specifischen, der kapitalistischen Produktionsweise geschieht. Eine solche Untersuchung lag jedoch der Analyse der Waare fern." (185; 183f)

Die historische Entwicklung der Warenproduktion sieht Marx in dem Prozeß der Verwandlung von Produktenaustausch in Warenaustausch: "Ganz so nothwendig, wie die Waarenproduktion auf einem gewissen Entwicklungsgrad kapitalistische Waarenproduktion wird — ja nur auf der Grundlage der kapitalistischen Produktionsweise wird die Waare zur allgemeinen, herrschenden Form des Produkts, — ganz so nothwendig schlagen die Eigenthumsgesetze der Waarenproduktion in Gesetze der kapitalistischen Aneignung um." (MEGA II.6, 538; dieser Teil der Note in der 4. Aufl. von K I von Engels gestrichen, vgl. MEGA II.10, 726; MEW 23, 613)

Obwohl Ware und Geld historisch älter sind als das Kapital, war für Marx methodologisch entscheidend, Ware, Wert und Geld nicht in ihrer vorkapitalistischen Gestalt, sondern in der Sphäre der einfachen Zirkulation innerhalb der Totalität der kapitalistischen Produktionsverhältnisse darzustellen. Wenn er über die einfache Wertform schreibt, dass sie "praktisch nur [...] in den Anfängen [vorkommt], wo Arbeitsprodukte durch zufälligen und gelegentlichen Austausch in Waaren verwandelt werden" (MEGA II.6, 97; MEW 23, 80), so deutet dies auf eine gedankliche Rekonstruktion eines Entwicklungszusammenhangs d.h. auf eine Unterscheidung zwischen logischer Ableitung und genetischer Herleitung bzw. Rekonstruktion (vgl. Haug 1974, 190f). In K I selbst treten die historischen Momente häufig als "Illustration" auf.

Engels hat wahrscheinlich vor Marx’ Tod die methodischen Hinweise aus der Einl 57 nicht zur Kenntnis nehmen können: "Es wäre also unthubar und falsch, die ökonomischen Categorien in der Folge auf einander folgen zu lassen, in der sie historisch die bestimmenden waren. Vielmehr ist ihre Reihenfolge bestimmt durch die Beziehung, die sie in der modernen bürgerlichen Gesellschaft auf einander haben, und die gerade das umgekehrte von dem ist, was als ihre naturgemässe erscheint oder der Reihe der historischen Entwicklung entspricht." (MEGA II.1.1, 42; MEW 42, 41) Auch im Manuskript des ersten Buches von K (im überlieferten "Sechsten Kapitel", wahrscheinlich im Sommer 1864 verfasst) stellt Marx fest: "Dieser Cirkellauf unserer Darstellung entspricht sowohl der historischen Entwicklung des Capitals, für welche ein Waarenaustausch, Waarenhandel, eine der Entstehungsbedingungen bildet, die sich selbst aber auf der Grundlage verschiedner Productionsstufen bildet, denen allen gemein ist, daß in ihnen die capitalistische Production noch gar nicht oder nur noch sporadisch existirt. Andrerseits ist der entwickelte Waarenaustausch und die Form der Waare als allgemein nothwendige gesellschaftliche Form des Products selbst erst das Resultat der capitalistischen Productionsweise." (MEGA II.4.1, 24) So hat Engels dann offenbar die Erklärungen im Nachwort zur 2. Auflage von K I zur Methode, die "wenig verstanden" (MEGA II.6, 704; MEW 23, 25) worden sei, ebenso fehl verstanden: "Allerdings muß sich die Darstellungsweise formell von der Forschungsmethode unterscheiden. Die Forschung hat den Stoff sich im Detail anzueignen, seine verschiednen Entwicklungsformen zu analysiren und deren inneres Band aufzuspüren. Erst nachdem diese Arbeit vollbracht, kann die wirkliche Bewegung entsprechend dargestellt werden." (709; 27)

Marx hat in seinen Stellungnahmen gegenüber ’populären’ Referaten von K I erneut auf dieses Problem aufmerksam gemacht, indem er historische Erklärungen der kapitalistischen Warenzirkulation anregte. So warf er Carlo Cafiero vor, dass dieser sich zu "pedantisch an die wissenschaftliche Form der Darstellung" halte (29. Juli 1879, MEW 34, 384). In der von Marx redigierten 2. Ausgabe von Johann Mosts Kapital und Arbeit (1876, MEGA II.8), hatte er zuvor versucht, die historische Genesis der Wertform in der Verwandlung des Produktenaustausches in Warenaustausch (741f) nachzuvollziehen, ohne den Begriff der eWP zu verwenden.

Seinerseits behauptet Engels in AD, Marx habe in K I "sonnenklar" nachgewiesen, dass "auf einem gewissen Entwicklungsgrad die Waarenproduktion sich in kapitalistische Produktion verwandelt" (MEGA I.27, 354; MEW 20, 151). Und weiter schreibt er: "In der mittelalterlichen Gesellschaft war die Produktion wesentlich auf Selbstgebrauch gerichtet, Waarenproduktion war erst im Entstehn. [...] Mit der Erweiterung der Waarenproduktion aber, und namentlich mit dem Auftreten der kapitalistischen Produktionsweise, traten auch die bisher latenten Gesetze der Waarenproduktion offener und mächtiger in Wirksamkeit." (438; 253f) Engels versteht unter eWP, die er hier der Sache nach beschreibt, aber noch nicht so nennt, einen Produktionstyp, der auf arbeitsteiliger handwerklicher oder bäuerlicher Produktion und Privateigentum an Produktionsmitteln, aber noch nicht wesentlich auf Lohnarbeit beruht. Sie ist somit für ihn die einfachste, unentwickeltste Form der Warenproduktion, deren historische Genesis der Ausgangspunkt für Marx’ Analyse in K I ist. — Obwohl Marx Eugen Dührings Schriften intensiv durcharbeitete, Randnoten für Engels’ AD zusammenstellte und das Manuskript durchsah (vgl. Vollgraf 1992), nimmt er auf die Darstellung der eWP keinen Einfluss. So bleibt die Frage offen, ob sich Marx unsicher war, wie die wissenschaftlichen Einsichten mit einer massenwirksamen Rezeption zusammengebracht werden könnten.

Wie begierig diese Interpretation aufgenommen wurde, zeigt die Breitenwirksamkeit von Karl Kautskys Oekonomischen Lehren (1887). Engels hatte ihn zuvor anläßlich seiner Polemik mit J.K. Rodbertus’ Kapital-Kritik belehrt, es sei nachzuweisen, wie "die Produktionsmittel, die in den frühern Perioden, inklusive eWP, nur eine sehr gelinde Herrschaft ausübten, verglichen mit der jetzigen, dahin kamen, die jetzige despotische Herrschaft auszuüben" (26. Juni 1884, MEW 36, 168). Kautsky reagiert darauf mit folgendem Schluss: "Es war Marx vorbehalten, das Kapital als historische Kategorie zu erkennen und seine Entstehung an der Hand der Geschichte nachzuweisen, statt sie aus dem Kopfe zu konstruieren." (1884a, 350) In einer weiteren Replik in der NZ folgert Kautsky, Marx’ Werttheorie habe Gültigkeit "nur für Gesellschaften mit Waarenproduktion", er führe jedoch, um Mißverständnissen vorzubeugen, "eine erfundene Robinsonade" vor (1884b, 503f).

In seiner popularisierenden Darstellung von K I folgt Kautsky Engels’ Hinweisen. Er resümiert die historische Abfolge der Produktionsweisen unter der Einschränkung, dass nicht die "Geschichte der Waarenproduktion, sondern nur ihre besonderen Eigenthümlichkeiten" (1887, 12) aufgezeigt würden. So bekommt die eWP einen Platz zwischen der "urwüchsigen" Produktionsweise und der kapitalistischen Warenproduktion. In der eWP sind "unabhängig von einander wirkende Privatarbeiter [tätig], deren Jeder mit ihm selbst gehörenden Produktionsmitteln Produkte erzeugt, die dann selbstredend auch sein Privateigenthum sind" (252). Wenn also unter eWP das Privateigentum "Folge und Frucht der Arbeit" war, so zerreißt die kapitalistische Produktion diesen Zusammenhang. Kautsky schlussfolgert daraus, dass man den weiteren Weg der Gesellschaft erkennt, der in "die Besitzergreifung der Produktionsmittel" mündet: "An Stelle der anarchischen Waarenproduktion tritt die planmäßig bewußte Organisation der gesellschaftlichen Produktion." (259)

Mit seinem Vorwort zu K II (1885) löst Engels die den 3. Band begleitende "Transformationsdebatte" aus, nämlich wie sich auf der Grundlage des Wertgesetzes eine Durchschnittsprofitrate bilden kann (MEW 24, 26). Die folgenden Kritiken und Kommentare, beginnend mit W.Sombart (1894), E.v.Böhm-Bawerk (1896), L.v.Bortkiewicz (1906) u.a., beziehen sich genau auf diesen Punkt: der Warenaustausch zu seinen Werten und der Austausch zu Produktionspreisen. Die Kritiker sehen darin den Widerspruch, der sich im Widerspruch zwischen 1. und 3. Band manifestiere, indem Marx seine eigene Werttheorie widerlegt habe. So wurde K III häufig als Eingeständnis eines theoretischen Scheiterns interpretiert (Vgl. Behrens 1995). Dieser Konsequenz aus seiner Fragestellung von 1885 war sich Engels offenbar nicht bewußt. Mit seiner Deutung der eWP im Vorwort zu K III verdeutlichen sich seine Schwierigkeiten, die Widerspruchsfreiheit beider Theorien nachzuweisen. So gehören auch die Passagen in K III, in denen der Ausgleich der Profite zum Durchschnittsprofit und der Werte zu Produktionspreisen behandelt werden, zu den editionstechnisch problematischen (Vgl. Vollgraf/Jungnickel 1994). Neben Umstellungen gibt es in diesem Teil von K III auch stilistische Veränderungen von Engels, die sich sinnverändernd auswirkten. So erläutert Marx die Genesis des Wertgesetzes und er schildert, wie sich der Produktenaustausch in Warenaustausch verwandelt, indem der Austausch der Waren "zwischen verschiednen Gemeinschaften (communities) entspringt, nicht zwischen den Gliedern einer und derselben Gemeinde" (MEGA² II/4.2, 253). Und da Marx einige Zeilen vorher davon spricht, daß die Werte der Waren "nicht nur theoretisch, sondern historisch" als Prius der Produktionspreise zu verstehen sind, übersetzt Engels den Terminus Communities mit "kommunistische Gemeinwesen" (MEW 25, 187) und gibt somit der marxschen Aussage einen formationstheoretischen Anstrich.

Die Ersetzung des Begriffs der einfachen Zirkulation durch den der eWP wird durch eine genaue zeitliche Definition von Engels’ in Ergänzung und Nachtrag zum III. Buche (veröffentlicht nach seinem Tod in der NZ 1895/96 unter dem Titel Wertgesetz und Profitrate) präzisiert: "Das marxsche Wertgesetz gilt allgemein, soweit überhaupt ökonomische Gesetze gelten, für die ganze Periode der eWP, also bis zur Zeit, wo diese durch den Eintritt der kapitalistischen Produktionsform eine Modifikation erfährt. [...] Das marxsche Wertgesetz hat also ökonomisch-allgemeine Gültigkeit für eine Zeitdauer, die vom Anfang des die Produkte verwandelnden Austausches bis ins fünfzehnte Jahrhundert unserer Zeitrechnung dauert." (MEW 25, 909) Hintergrund für diese Darstellung könnten Engels´ historische Studien sein, die sich im Ursprung niederschlugen und für dessen 4. Aufl. 1892 er ebenfalls Veränderungen vornahm, die die ’materialistische Geschichtsauffassung’ bekräftigen sollten (vgl. MEGA I.29, 723ff).

Die Verwandlung des Begriffs der "Waarencirculation" (MEGA II.5, 72) in eWP, die Auslegung des ersten Abschnitts von K I als Vorgeschichte der kapitalistischen Produktionsweise, wurde so zu einer von Engels unbewußt vorgetragenen, jedoch in der Folge gegen Marx gerichteten Argumentation. Hintergrund dieses Unverständnisses ist, dass Engels mit Marx’ Formbestimmung, in welche die Geschichte eingeschrieben ist, nicht klar kommt. Hinter der im ML beschworenen "Einheit von Logischem und Historischen" steht nicht nur Marx’ Verhältnis zu Hegel, sondern — im Hintergrund und deshalb unbeachtet — das zur Formlehre von Aristoteles.

Die Differenz zwischen Marx und Engels im Bereich der KrpÖ wurde erneut in den 1970er Jahren kontrovers diskutiert. Nach Hans-Georg Backhaus hat Engels mit seinem Begriff der eWP den marxschen Grundbegriff der ’einfachen Zirkulation’ in "absurder Weise" missverstanden und mit seiner "Interpretation des 1. Kapitels als Werttheorie einer prämonitären Naturalwirtschaft und des 3. Kapitels als Geldtheorie einer ’einfachen Warenproduktion’ [...] vor allem die geldtheoretischen Intentionen der Marxschen Werttheorie ignoriert" (1978, 18). Ähnlich argumentiert Helmut Reichelt über die "logische Struktur" des Kapitals; Hans-Dieter Kittsteiner behandelt die verschiedenen Sichtweisen von Marx und Engels auf Logisches und Historisches. Hans-Holger Paul spricht vom "Vulgarisator" Engels, der Marx’ Dialektik als Evolutionslehre rezipiert und damit ungewollt die marxsche Theorie ihres revolutionären Charakters entkleidet habe (1978, 46). Eine Neuedition der Erstausgabe von K I begründet Fred E. Schrader damit, dass sie einen Einschnitt in Marx´ Arbeitsprozess darstelle, da er sich "eindeutig für eine strenge dialektische Darstellungslogik insbesondere der Waren- und Geldanalyse entschied" (1980, 11*). Gerhard Göhler sieht in der Erstauflage ebenfalls eine begriffslogische Darstellung, die in den nachfolgenden Auflagen zugunsten eines besseren Verständnisses reduziert worden sei. Im Gegensatz hierzu vertritt Ernest Mandel eine realhistorische Auffassung, denn Marx habe in K I "weder mit einer Analyse der ’Kapitalistischen Warenproduktion’, noch des Kapitals" begonnen, denn ohne "einfache Warenproduktion kann der Kapitalismus nicht entstehen" (1991, 11f). Eine dazu in gewisser Weise vermittelnde Position nimmt Wolfgang Fritz Haug ein, der Backhaus u.a. "hegelianisierende Artikulationsmuster" (1984, 77) in Bezug auf die Wertformanalyse vorwirft, denn der Untersuchungsgegenstand ist kein "blosses Gedankending" (72). Auch die einfache Wertform hat eine historische Gestalt, jedoch verfolgt Marx die Wertformanalyse keineswegs wirtschaftsgeschichtlich, es handelt sich um die Darstellung eines "genetischen Zusammenhangs" (73).

In der zum Dogma erstarrten politischen Ökonomie des ML (Einheit von Logischem und Historischem, Einheit von Marx und Engels) bleiben diese Differenzen weitgehend ausgeklammert. Dazu bemerken Hans Georg Nutzinger und Elmar Wolfstetter, daß die "marxistische Version der preistheoretisch interpretierten Arbeitswertlehre im wesentlichen auf Engels" zurückgehe, der glaubte, dass "die Gleichsetzung von Wert und Preis für nichtkapitalistische warenproduzierende Gesellschaften (’eWP’) berechtigt sei" (1974, 11). Diskussionsansätze hinsichtlich einer Neuinterpretation der Werttheorie — Peter Ruben (1980), Hans Wagner (1980) in der DDR, V. P. Kredov (1973) in der UdSSR — wurden erstickt. Mit der Edition der MEGA beschäftigte Wissenschaftler kritisierten die Interpretation des ersten Abschnitts von K I als Darstellung der vorkapitalistischen Produktionsweise, ohne explizit auf Engels einzugehen (Jahn 1978, Hecker 1979). Ähnlich auch das letzte DDR-Lehrbuch für Politische Ökonomie des Kapitalismus und Sozialismus von 1988, in dem unumwunden konstatiert wird, dass im ersten Abschnitt von K I keineswegs eine eWP behandelt werde, sondern der Kapitalismus.

Im Zusammenhang mit der Erstveröffentlichung von Marx’ Manuskript zu K III (1863-65) in MEGA II.4.2 (Berlin 1992) wird die Problematik wieder aufgegriffen. Aus dem Vergleich mit der von Engels edierten Druckfassung wird gefolgert, dass Engels seinen eigenen Ansprüchen (obwohl nur ein "äußerst lückenhafter, erster Entwurf" vorlag, habe er den "Charakter des ersten Entwurfs [...] möglichst beibehalten", MEW 25, 10f) nicht gerecht geworden sei, da seine Texteingriffe zu einer ’Historisierung’ beigetragen haben (vgl. Heinrich 1991 u. 1996, Backhaus/Reichelt 1994, Vollgraf/Jungnickel 1994). So seien die Unterschiede zwischen Marx und Engels weitaus größer, als bisher angenommen. Demgegenüber wendet Bertell Ollman (1995) ein, wenn die Differenzen zwischen beiden so groß waren, warum hat dann Marx Engels nicht korrigiert, z.B. bei der Abfassung von AD?

Bei aller Diskussion über Differenzen zwischen Marx und Engels hinsichtlich der Darstellung der eWP sollte nicht verkannt werden, dass die Erklärung der Formenfolge nach allem epistemologischen Selbstverständnis von Marx über die Vermittlung gesellschaftlichen Handelns erfolgt, also nicht ausschliesslich ’logisch’, sondern realgeschichtlich determiniert ist.

Bibliographie: H.-G.Backhaus, "Materialien zur Rekonstruktion der Marxschen Werttheorie III", in: Gesellschaft. Beiträge zur Marxschen Theorie 2, Frankfurt/M 1978, 16-117; ders. u. H.Reichelt, "Der politisch-ideologische Grundcharakter der Marx-Engels-Gesamtausgabe: Eine Kritik der Editionsrichtlinien der IMES", in: MEGA-Studien, Berlin 1994, H. 2, 101-18; D.Behrens, "Ein Kommentar zum MEGA²-Band II.4.2", in: MEF 1995, Berlin-Hamburg, 5-26; E.v.Böhm-Bawerk, "Zum Abschluß des Marxschen Systems", in: Staatswissenschaftliche Arbeiten, Berlin 1896; L.v.Bortkiewicz, "Wertrechnung und Preisrechnung im Marxschen System. Erster Artikel", in: Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik, Bd. 23, Tübingen 1906; G.Göhler, Die Reduktion der Dialektik durch Marx. Strukturveränderungen der dialektischen Entwicklung in der Kritik der politischen Ökonomie, Stuttgart 1980; W.F.Haug, Vorlesungen zur Einführung ins "Kapital", Köln 1974, 5., überarb. u. erg. A., Berlin/W-Hamburg 1989; ders., Die Camera obscura der Ideologie, Berlin 1984; R.Hecker, "Einige Probleme der Wertformanalyse in der Erstausgabe des ’Kapitals’ von Karl Marx", in: Arbeitsblätter zur Marx-Engels-Forschung, H. 8, Halle 1979, 76-94; M.Heinrich, Die Wissenschaft vom Wert. Die Marxsche Kritik der politischen Ökonomie zwischen wissenschaftlicher Revolution und klassischer Tradition, Hamburg 1991; ders., "Engels’ Edition of the Third Volume of Capital and Marx’s Original Manuscript", in: Science & Society, 60. Jg., 1996/97, H. 4, 452-66; W.Jahn, "Die Entwicklung der Ausgangskategorie der politischen Ökonomie des Kapitalismus in den Vorarbeiten zu Marx’ Kapital", in: "... unsrer Partei einen Sieg erringen". Studien zur Entstehungs- und Wirkungsgeschichte des "Kapitals" von Karl Marx, Berlin/DDR 1978, 66-79; K.Kautsky, "Das ’Kapital’ von Rodbertus", in: NZ, 2. Jg. 1884(a), H. 8, 337-50; ders., "Eine Replik", in: NZ, 2. Jg. 1884(b), H. 11, 494-505; ders., Karl Marx’s Oekonomische Lehren, Stuttgart 1887; H.-D.Kittsteiner, "’Logisch’ und ’historisch’. Über Differenzen des Marxschen und Engelsschen Systems der Wissenschaft", in: IWK, 13. Jg., 1977, H. 1, 1-47; E.Mandel, Kontroversen um "Das Kapital", Berlin 1991; H.G.Nutzinger, E.Wolfstetter, "Gesamteinleitung", in: Die Marxsche Theorie und ihre Kritik I. Eine Textsammlung zur Kritik der Politischen Ökonomie, Frankfurt/M-New York 1974, 3-27; B.Ollman, "Some Questions for Critics of Engels’ Edition of Capital", in: MEF 1995, Berlin-Hamburg, 58f; H.-H.Paul, Marx, Engels und die Imperialismustheorie der II. Internationale, Hamburg 1978; Politische Ökonomie des Kapitalismus und des Sozialismus, Lehrbuch für das marxistisch-leninistische Grundlagenstudium, Berlin/DDR 1988; H.Reichelt, Zur logischen Struktur des Kapitalbegriffs bei Karl Marx, Frankfurt/M 1970; ders., "Warum hat Marx seine dialektische Methode versteckt?", in: MEF 1996, Berlin-Hamburg, 73-110; P.Ruben, H.Wagner, "Sozialistische Wertform und dialektischer Widerspruch", in: DZPh, 28. Jg., 1980, H. 10, 1218-30; F.E.Schrader, "Editorisches Vorwort zum Nachdruck der Erstausgabe des ’Kapitals’ von Karl Marx (1867)", in: Karl Marx, Das Kapital, Hildesheim 1980; V.P.Kredov, Metod issledovanija sobstvennosti v "Kapitale" K. Marksa, Moskau 1973; W.Sombart, "Zur Kritik des ökonomischen Systems von Karl Marx", in: Archiv für Soziale Gesetzgebung und Statistik, 1894, Bd. 7, H. 4, 555-94; C.-E.Vollgraf, "Ein ’Handgemenge’ im Vorfeld des ’Anti-Dühring’", in: MEF 1992, Berlin-Hamburg, 109-23; ders. u. J.Jungnickel, "’Marx in Marx’ Worten’? Zu Engels’ Edition des Hauptmanuskripts zum dritten Buch des Kapital", in: MEGA-Studien, Berlin 1994, H. 2, 3-55; H.Wagner, "Die Darstellung der Wertformanalyse und Wertformentwicklung durch Marx und ihre methodologische Bedeutung in der Gegenwart", in: DZPh, 28. Jg., 1980, H. 2, 197-211.