Ingo Elbe

Jan Hoff, Kritik der klassischen politischen Ökonomie. Zur Rezeption der werttheoretischen Ansätze ökonomischer Klassiker durch Karl Marx

Schon die 43 blauen Bände der Marx-Engels-Werke, ja bereits die drei Bücher des ‚Kapital’,
haben noch jedem Respekt eingeflößt, der sich daran machen wollte, aus ihnen zu lernen, was
es mit der ganzen „ökonomischen Scheiße“ (Marx) der kapitalistischen Produktionsweise auf
sich hat. Mit der 1975 in der DDR begonnenen und noch immer stetig anwachsenden
(zweiten) Marx-Engels-Gesamtausgabe (MEGA) wird die Angelegenheit nicht nur für Laien
durchaus unübersichtlich. Jan Hoff begibt sich mit seinem Beitrag zu Marx’ Kritik der
ökonomischen Klassik mit beeindruckender Text- und Sachkenntnis in das Labyrinth der
MEGA mit seinen Exzerpten, Fragmenten, unveröffentlichten Manuskripten und
verschiedenen Versionen veröffentlichter Texte und nutzt sie als eigenständige Quellen für
eine Rekonstruktion der Genesis zentraler Gehalte der Marxschen wissenschaftlichen
Revolution. Im Zuge der philologisch detailgetreuen Nachzeichnung von Stadien der
Marxschen Rezeption von Aristoteles, Petty, Smith und Ricardo stellt Hoff die Frage nach
Marx’ Aneignung dieser Klassiker im Lichte seiner monetären Werttheorie.

Eine solche Frage ist in der marxistischen Diskussion schon deshalb selten gestellt worden, weil diese das revolutionäre wissenschaftliche Potential des Marxschen Ansatzes, seine monetäre Konstitutionstheorie des Werts, bis in die späten 1960er Jahre hinein vollständig ignorierte. Hoff weist dagegen in seinem Einleitungskapitel auf einige Grundlinien einer neuen Marx-Lektüre hin, einen Forschungsprozess, der vor allem in der Bundesrepublik, aber auch vereinzelt in der DDR und der Sowjetunion, Ende der 60er Jahre in Gang gesetzt wurde und der ein dem marxistischen Traditionsbestand radikal widersprechendes Bild von ‚Marxscher Theorie’ zutage förderte. Vor allem die mit Engels beginnende empiristisch-historizistische „Fehlinterpretation“ (19) der Darstellungsweise und die ‚prämonetäre’ Deutung der Werttheorie des ‚Kapital’, aber auch Ambivalenzen im Marxschen Werk selbst und die Popularisierung seiner Methode, die „den Verzicht auf eine systematische Ausarbeitung werttheoretischer und methodologischer Grundgedanken“ (24) bedeutet habe, wurden Gegenstand der Kritik. Engels und der marxistische Traditionalismus deuteten verschiedene Abstraktionsebenen der Darstellung der Gesetze der kapitalistischen Produktionsweise im ‚Kapital’ als empirisch gleichrangige Ebenen eines Modells historisch unterschiedlicher Produktionsweisen. Damit waren Kategorien wie abstrakte Arbeit, Wert und einfache Wertform empiristisch umgedeutet und der von Marx als notwendig erachtete Zusammenhang von Ware, Geld und Kapital in einen historisch-kontingenten verwandelt. Damit bewegte sich der Marxismus aber auch auf einem methodologischen und werttheoretischen Terrain, das Marx gerade an der ökonomischen Klassik kritisierte.
Hoff arbeitet insbesondere an der Marxschen Auseinandersetzung mit Smith und Ricardo zwei wesentliche Aspekte heraus, die dessen Kritik der politischen Ökonomie von einer alternativen Politökonomie unterscheiden: Zunächst ist es nicht erst die Mehrwerttheorie, sondern die Formtheorie der Arbeit, die Marx von der Klassik unterscheidet. Marx kritisiert, dass die Form Wert von der politischen Ökonomie reflexionslos vorausgesetzt, nicht nach deren Genese gefragt und die sich im Wert darstellende Arbeit nicht als historisch-spezifische, gesellschaftliche Form begriffen wird (es wird nicht die Frage gestellt, „warum sich die Arbeit im Wert darstellt“ (Marx)). Damit bewegt sich politische Ökonomie grundlegend auf dem Feld fetischisierter Formen. Zudem wird der prämonetäre Charakter ihrer Werttheorie kritisiert, denn sie „behandelt die Wertform als etwas ganz Gleichgültiges oder der Natur der Ware selbst Äußerliches“ (Marx), d.h., sie unterscheidet nicht zwischen innerem und äußerem Wertmaß als zwei auf unterschiedlichen theoretischen Abstraktionsebenen liegenden Kategorien und begreift nicht die Notwendigkeit der Geldform für den Austausch von Waren. Geld wird als rein technisches Instrument gefasst, das aus Bequemlichkeitsgründen den Austausch mittels Arbeitszeitmengen-Rechnungen ersetzt. Bei Marx dagegen wird Geld als „notwendiges Moment des valoren Austauschprozesses entwickelt“ (58). Ohne eine allgemeine Wertform könnten sich die Waren nicht füreinander als Werte darstellen und wären auf den Status von Produkten zurückgeworfen. Hoff spricht in Anlehnung an Helmut Brentel von einer ‚gleichursprünglichen’ Konstitution von abstrakter Arbeit als logisch vorgeordnetem immanentem und Geld als äußerem Wertmaß. In diesem Sinne spreche Marx von der Wertsubstanz als im Austausch ‚werdendem Resultat’ (81), das zudem erst als Kapital ‚intertemporale Existenz’ gewinne (22, 39).
Im Gegensatz zum Empirismus und Ahistorismus der politischen Ökonomie stellt sich Marx’ Ansatz damit als Wesenserkenntnis im Sinne der Rekonstruktion eines empirisch nicht unmittelbar erfassbaren gesellschaftlichen Struktur- und Handlungszusammenhangs dar – mittels der Erarbeitung einer nichtempirischen Theorieebene die die Erklärung empirischer Erscheinungsformen, wie des Geldes, allererst ermöglicht. Marx verfolge, so Hoff, ein „Prinzip der Entwicklung der ökonomischen Kategorien bei Differenzierung unterschiedlicher Abstraktionsebenen“ (78). Kategorien wie abstrakte Arbeit oder Wert haben dabei keine unmittelbaren empirischen Referenten, die Aufeinanderfolge der Kategorien Ware und Geld ist nicht als eine historisch jeweils für sich existierender Sachverhalte, sondern als begriffliche Analyse zu verstehen.
Allerdings zeigt Hoff, dass Marx dem monetären Charakter seiner Werttheorie in der Auseinandersetzung mit der Klassik nicht immer den ihr gebührenden Stellenwert einräumt (60f.) und die Äußerungen der Ökonomen gelegentlich produktiv missversteht (59).
Hoff bietet einen thematisch klar fokussierten Einblick in die aus der MEGA zu extrahierende Marxsche Werkentwicklung, dessen Nachteil (für MEW-Marxisten wie mich) einzig darin besteht, dass die Seitenkonkordanz zur MEW hinsichtlich in beiden Werkausgaben veröffentlichter Texte fehlt. Aber vielleicht müssen wir ja alle MEGA-Marxisten werden...

(veröffentlicht in: Utopie Kreativ Nr. 173/ 2005)