Fabian Kettner

Christine Buchholz, Anne Karrass, Oliver Nachtwey, Ingo Schmidt (Hg.): Unsere Welt ist keine Ware. Handbuch für Globalisierungskritiker/ Alex Callinicos: Ein Anti-Kapitalistisches Manifest

Fabian Kettner

Give me Convenience – or give me Death

Was soll man zu den no globals noch sagen? Was man an ihnen kritisieren kann, kann man (wie Michael Heinrich in konkret 09/2001) auf zwei Seiten zusammenfassen: ihre Fixierung auf den Staat als Mittel gegen eine angeblich verantwortungslos wuchernde Ökonomie, die unzulässige Auftrennung des Kapitalverhältnisses in Finanzkapital vs. ‚Realwirtschaft’, die Illusionen über den Janus Staat und Ökonomie. (Und das ist nur das Gröbste.)

Folgend kann man ideologiekritisch bestimmen, was daraus nach seiner eigenen Logik zwingend folgt, was praktisch nicht nur folgen kann, sondern bereits gefolgt ist: die Reduktion, dann die Verdinglichung, dann die Personifizierung abstrakter gesellschaftlicher Verhältnisse, also genau das Gegenteil von dem von attac selbstgesetzten Ziel: die „ökonomische Alphabetisierung“ der Bevölkerung (Handbuch, 251) - schließlich ein struktureller Antisemitismus, d.h. eine Weise, den Kapitalismus zu analysieren und zu kritisieren, der strukturell dem modernen Antisemitismus gleicht, nur der Figur des Juden mangelt. Nachfolgend kann man sich an Aktionen, Symbolik und Stellungnahmen die Bestätigung holen, dass es die Globalisierungsgegner auch zum manifesten Antisemitismus treibt – oder zu seinen Verpuppungen wie Anti-Amerikanismus und „berechtigter Israel-Kritik“, d.h. Antizionismus.
All das ist auch geleistet worden. Das theoretische Werkzeug dafür liegt bereit, jede Antifa-Gruppe, die zwei Ausgaben der Bahamas gelesen hat, kann ihr lokales attac-Pendant demontieren. All dies ist ebenso notwendig, wie es ratlos macht. Denn wer will sich mit den no globals abgeben, deren Denken & Handeln dermaßen unter dem Niveau der Kritik liegen? Vielleicht gibt es deswegen so wenige Kritiken. Wo soll man anfangen? Soll man ihre Literatur lesen, in der doch immer nur dasselbe steht? Was sie schreiben, lesen ihre eigenen Anhänger auch nicht. Was sie brauchen, sind nur wenige Schlagworte und Symbole, mit denen sie ihr Unbehagen zum Ressentiment fortbilden.
Gesichtet werden von den Bewegungsmachern „Spontaneität, Visionen einer anderen Gesellschaft, eine vielfältige Bewegung von unten“ (15). Spontan wird das Ressentiment, das immer nur dumpf dasselbe vollzieht, im Pogrom. Die Visionen die sie haben, sind die, die die Gesellschaft erzeugt, zu der man angeblich eine andere schaffen will und deren Fetischismus man doch nur bewusstlos reproduziert. Die immer wieder behauptete Vielfältigkeit ist programmatisch verarbeitete Ahnungslosigkeit und der kleinste gemeinsame Nenner, der bis zur NPD reicht.

Die Herausgeber des Handbuchs, in dem kurz alle Themen ausgemalt werden, gehören zur Hälfte zu attac, zur anderen zu linksruck, einer trotzkistischen Organisation, die gerne mit den Judenmördern von der Hamas demonstriert. Leider haben Gewerkschaften und Kirchen keine Berührungsängste mit ihnen, denn sie alle kennen wohl wie Walden Bello – neben Naomi Klein und dem Auschwitz-Leugner-Verteidiger Noam Chomsky (vgl. Klaus Thörner in Bahamas No. 45), einer der internationalen Prominenten im Handbuch – „das tiefe Unrechtsgefühl, das gewöhnliche Menschen zu Terroristen werden lässt“ (324). Terrorismus, inzwischen ein anderes Wort für möglichst große Massaker an Zivilpersonen, sei zwar nicht gut, aber verständlich, „in diesem epochalen Kampf um Freiheit, Gerechtigkeit und Souveränität der Völker des Südens gegen das Imperium“ (329f.). Wenn Chomsky, „um es einmal etwas“, aber auch nur etwas und ausnahmsweise, „zu vereinfachen“, es so sagt, dass „auf der einen Seite dieses Konfliktes die konzentrierten Machtzentren“ stünden und „die andere Seite die allgemeine Bevölkerung auf der ganzen Welt ist“ (Handbuch, 332), dann ist Callinicos mit ihm einig, nur dass er von der „Arbeiterklasse“ spricht, die „schöpferische Quelle“ (45) der Welt, die gegen „ein unnatürliches soziales Gebilde“ (Chomsky, 335) stehe.

Wer das Imperium ist, daran lässt Callinicos’ Buch keinen Zweifel: das „anti-kapitalistisch“ im Titel ist im Coca Cola-Schriftzug gedruckt. Der Titel ist allerdings Etikettenschwindel: kein mitreißendes Manifest ist es, denn Callinicos ist nicht nur Professor für Politik in York, sondern auch Mitglied der Socialist Worker Party, einer Schwesterorganisation von linksruck. Oliver Nachtwey übernahm die Redaktion, Christine Buchholz stellte das Buch im Mai 2004 auf den Linken Buchtagen im garantiert linksradikalen Berliner Mehringhof vor. Sein Buch erschien bei VSA, der früher auch schon mal gute Bücher verlegte, inzwischen aber ein attac-Hausverlag geworden ist. Von Callinicos ist auch Die revolutionären Ideen von Karl Marx, verlegt bei Edition Aurora, wo man sich von seinen Genossen über Öl, Imperialismus und Zionismus: Israel und seine Rolle in Nahost (John Rose, Vorwort von Phil Marshall), Israel und der palästinensische Befreiungskampf. Ursachen des Nahostkonfliktes und Perspektiven für den Frieden (hg.v. Werner Halbauer), sowie über Islamischer Fundamentalismus. Unterdrückung und Revolution (Phil Marshall) informieren lassen kann; Büchlein, die der Verlag so wichtig findet, dass man sie kostenlos downloaden kann.
Callinicos mag die no globals, denn mit ihnen sei „etwas Widerspenstiges“ (14) geschehen, woraus man etwas machen könne. Auch wenn er weite Teile ihrer Vielfalt dafür tadelt, dass sie dem Kapitalismus nur reformerisch gegenübertreten, so sieht er dennoch eine Bewegung nicht nur gegen einzelne Missstände, sondern ein „wachsendes Bewusstsein für das System“ (25). Das sog. System stellt er einerseits theoretisch-abstrakt dar und bringt es, gut marxistisch, auf die zwei „grundlegenden Merkmale“ (45) Ausbeutung von Lohnarbeit und Konkurrenz der Kapitalien. Andererseits aber weiß er, dass er nicht nur die „zerstörerische Macht, die die Herren des Kapitals befehligen“ (150) konkretisieren, sondern auch, auf wen er zu sprechen kommen muss, sollte jemand sein Buch nicht nur wegen des Covers kaufen. Die USA seien zwar „Handlanger einer unpersönlichen Struktur“ (62), hätten aber auch „eigene Interessen“ (70), deren Durchsetzung die „Aussicht auf einen permanenten Zustand des globalen Krieges“ (72) eröffnete. Unter den Fittichen der USA dürfe Israel sich erlauben, was andere Staaten nicht dürften (73), weswegen er gerne verschweigt, dass Israel von der UN unter der Führung der arabischen Staaten für Aktionen mit Verurteilungen überzogen wird, für die dieselben Staaten kein mahnendes Wort hören.
„In Anbetracht des Todes und der Zerstörung, die die israelische Armee im Namen der ‚Terrorismusbekämpfung’ dem Westjordanland und dem Gazastreifen zugefügt hat“ (156) möchte Callinicos dringend für „eine Form sozialistischer Demokratie“ eintreten, die von „antikapitalistischen Werten“ (114) geleitet sein soll: vom „sozialen Ethos“ der Gerechtigkeit (115), von Effizienz, von Demokratie und Nachhaltigkeit. Sie sollen die „Logik des Kapitals“ (148) herausfordern. So betulich und idealistisch er hier an das Verantwortungsgefühl der Menschen appelliert, so bieder und pragmatisch wird er in der Praxis, wenn er für Oxymorone wie „Marktsozialismus“ eintritt, um die Ausbeutung abzuschaffen oder auch für einen „Stakeholder-Kapitalismus“, der „die Märkte reguliert, um so wirtschaftliche Stabilität und soziale Harmonie aufrechtzuerhalten“ (126). Dass die Ausbeutung ihm das eine ist und die gesellschaftliche Verkehrsweise, in der sie auftritt, das andere, das beweist er, wenn er das Geld „weiterhin eine Rolle als bequemes Rechnungsmittel spielen“ lassen möchte (140). – Womit wir wieder am Anfang sind.

CHRISTINE BUCHHOLZ, ANNE KARRASS, OLIVER NACHTWEY, INGO SCHMIDT (Hgg.): Unsere Welt ist keine Ware. Handbuch für Globalisierungskritiker
Köln: Kiepenheuer & Witsch, 2002
ca. 350 S., € 09,90
ISBN 3-462-03164-3

ALEX CALLINICOS: Ein Anti-Kapitalistisches Manifest.
Aus dem Englischen von David Penson, in Zusammenarbeit mit Rosemarie Nünning und Thomas Weiss
Hamburg: VSA, 2004
ca. 155 Seiten, € 14,80
ISBN 3-89965-066-2