Peter Bierl

Schwundgeld, Menschenzucht und Antisemitismus

Die Tauschringe, die Lehre des Silvio Gesell und die Antiglobalisierungsbewegung

1. Einleitung

Das Credo der Globalisierungskritiker lautet: Transnationale Konzerne, Banken und internationale Bürokratien wie die Welthandelsorganisation (WTO) regieren die Welt. Die Regierungen seien machtlos. Im Zentrum von Analyse und Aktion steht die scheinbare Tendenz zum Freihandel und die angeblich von der "Realwirtschaft" abgekoppelten Finanzmärkte.

Diese Sichtweise enthält zwei Fehler: Geld und Devisen sind nicht erst im Zeitalter der New Economy zu einer Ware geworden, mit der spekuliert wird, sondern waren dies schon während des Booms der Eisenbahn im 19. Jahrhundert. Und statt den Freihandel zu pflegen, halten kapitalistische Zentren gegenüber ärmeren Staaten sowie untereinander an Handelsbeschränkungen fest.

Die USA und die EU streiten über Schutzzölle für Stahl, über den Import von gentechnisch veränderten Produkten oder über Agrarsubventionen. Die WTO dient dabei als eine Bühne, auf der solche Konflikte ausgetragen, aber auch Kompromisse formuliert werden. Generell gilt: Auch transnational agierende Konzerne sind auf starke Nationalstaaten als Operationsbasis und politisch-militärische Helfer angewiesen. Die gängige Globalisierungskritik trennt was nicht zu trennen ist: Staat und Kapital, Finanzkapital und Industriekapital, Wirtschaft und Gesellschaft.

Im Verständnis der globalisierungskritischen Bewegung wird Globalisierung als eine negative Entwicklung der Weltwirtschaft aufgefasst, die sich erst in jüngster Zeit ereignet haben soll und angeblich vom Finanzsektor mit Hilfe modernster Kommunikations- und Informationstechnik dominiert wird. Der Kapitalismus in der Zeit davor gilt implizit oder explizit als regional oder national begrenztes System und wird als solches verklärt. Dabei ist Kapitalismus ein globales System, seitdem im 16. Jahrhundert der berüchtigte transatlantische Dreieckshandel eingerichtet wurde: aus Afrika Sklaven nach Amerika, Gold, Silber und landwirtschaftliche Produkte aus der Neuen Welt nach dem alten Europa und von dort wieder Fusel, Waffen und Metallwaren nach Afrika.

Solche irreführenden Vorstellungen über Kapitalismus werden von Attac vertreten, von Prominenten wie Subcomandante Marcos von den Zapatisten, von Naomi Klein oder von Michael Hardt und Antonio Negri , die als Linke gelten. Maßgeblich mit geprägt haben diese Ideen auch Gruppen und Personen aus dem esoterisch-ökofaschistischen Spektrum der Ökologiebewegung. Auf internationaler Ebene handelt es sich um das ”International Forum on Globalization”, einen elitären Club von etwa 60 Personen, Esoterikern und Protektionisten, Rechten und Linksliberalen, der von der ”Foundation for Deep Ecology” initiiert wurde. In Deutschland sind es die Ökofeministinnen um die Kölner Soziologin Maria Mies, Anthroposophen vom Netzwerk Dreigliederung und die Anhänger der Zinsknechtschaftslehre des Silvio Gesell sowie der Tauschringe, deren Positionen ich heute abend vorstellen und kritisieren werde.

Gesellianer referieren in Veranstaltungen von Globalisierungskritikern, Anhänger der Lehre Silvio Gesells treten als Repräsentanten von Attac auf, Tauschringe und Gesellianer-Gruppen mischen vor Ort in Attac-Gruppen und Sozialforen mit. Auf der Sommeruniversität von Attac-Frankreich in Arles, August 2001, waren Tauschringe ebenso vertreten und ein Thema wie auf den Europäischen Sozialforen in Florenz im November 2002 oder in Paris 2003. In Florenz initiierten französische Gruppen einen Workshop über Tauschsysteme in Europa, mit dabei waren Lets-Gruppen und die Tauschringe aus der BRD. Außerdem trat dort der Gesellianer und Anthroposoph Thomas Mayer aus München als Referent auf, der mit rechten Gruppen wie dem „Bund freier Bürger“ und der Jungen Freiheit kooperiert.

Zwei bundesweite Organisationen, die Christen für eine gerechte Wirtschaftsordnung (CGW) und die Initiative für eine Natürliche Wirtschaftsordnung (INWO) sind Mitgliedsorganisationen von Attac Deutschland. Wenn neue politische Bewegungen entstehen, versuchen alle Gruppen, diese zu beeinflußen und für sich neue Anhänger zu rekrutieren, das ist Politik. Ich will deshalb nicht moralisieren, sondern aufklären, was für Vorstellungen hinter den Gesellianern und den Tauschringen stecken.

Anfangen werde ich mit der Ideologie Silvio Gesells und seiner heutigen Vertreter, die eine ökonomisch absurde Theorie vertreten, die strukturell antisemitisch ist, auf Manchester-Kapitalismus und Sozialdarwinismus hinausläuft und deren Ziel eine Art Rassenhygiene und Menschenzüchtung ist. Als zweites beschäftige ich mich mit den Tauschringen und ihrer besonderen Funktionsweise und werde zeigen, dass es nicht um Tauschen im eigentlichen Sinn geht, sondern um die praktische Umsetzung und Einübung der Zinskknechtschaftsideologie. Am Beispiel Argentiniens wird deutlich, welche Perspektive die Tauschringe haben - nicht als emanzipatorisches Projekt, wie einige Linke meinen, sondern als Armutsselbstverwaltung. Der Zusammenbruch der argentinischen Tauschringe im Herbst 2002 ist zugleich die praktische Widerlegung aller schönen Versprechen der Gesellianer, ihr neues Geld werde eine Art Schlaraffenland schaffen.