Gerhard Schweppenhäuser

Humane Zellen im inhumanen Allgemeinen? Adornos negative Moralphilosophie

Nach Kant ist moralisches Handeln Selbstbestimmung aus Freiheit; nach Nietzsche ist Moral nichts als ein langer Zwang. Mit Adorno können beide Ansichten gerechtfertigt werden, allerdings in unterschied­licher Hinsicht: Sie sind geeig­net, die gegensätzlichen Bestimmungen zu beschreiben, die in der Sache selbst liegen. Die normativ-kritische Kraft des moralphiloso­phischen Diskurses kann sich nur entfalten, wenn seine Antinomien (individueller Freiheits- und Glücksanspruch vs. gesellschaftlicher Zwang, Autonomie vs. Fremdbestimmung u.a.) dialektisch reflektiert werden. Adorno argumentiert im Hinblick auf moralische Normativität allerdings auch dualistisch; hier macht sich sein „Rest-Kantianismus“ mit guten Gründen geltend. Vor dem Hintergrund der dialektischen und zugleich dualistischen Reflexion lässt sich heute eine kritische Theorie des moralphilosophischen Universalismus entwickeln.

Gerhard Schweppenhäuser, geb. 1960 in Frankfurt am Main, ist Professor für Design-, Kommunikations- und Medientheorie an der Hochschule für angewandte Wissenschaften in Würzburg. Er war Privatdozent für Philosophie in Kassel, Gastprofessor an der Duke University in Durham (North Carolina) und Professor für Ästhetik in Bozen. Zusammen mit Wolfgang Bock und Sven Kramer gibt er die Zeitschrift für kritische Theorie heraus. Bücher (u.a.): Kritische Theorie (Stuttgart, 2010); Theodor W. Adorno zur Einführung (5. Aufl. Hamburg, 2009); Ästhetik. Philosophische Grundlagen und Schlüsselbegriffe (Frankf./M., 2008); Grundbegriffe der Ethik (2. Aufl. Hamburg, 2006); Die Antinomie des Universalismus. Zum moralphilosophischen Diskurs der Moderne (Würzburg, 2005); Ethik nach Auschwitz? Adornos negative Moralphilosophie (Hamburg, 1993).