Frantz Fanon, dessen Tod sich am 6. Dezember letzten Jahres zum
vierzigsten mal gejährt hat, wurde durch seine Schriften wie auch
seine Biographie zuallererst ein Symbol des revolutionären Kampfes
der »Verdammten dieser Erde« gegen koloniale und imperialistische
Unterdrückung schlechthin. Die durch den Titel seines Hauptwerkes
sprichwörtlich gewordene Bedeutung Fanons für den revolutionären
Befreiungskampf der »Dritten Welt« führte, nicht nur
in der deutschen Linken vor allem nach '68, zu einer ikonenhaften und selektiv
auf die Legitimation des bewaffneten Kampfes gerichteten Fanon-Rezeption.
Diese beschränkte sich wesentlich auf das erste Kapitel seines Hauptwerkes
unter der Überschrift »Von der Gewalt« und das von Jean-Paul
Sartre verfasste Vorwort zu den »Verdammten dieser Erde«.
Dessen moralisch rigorose Zuspitzung von Fanons Thesen dürfte unwillentlich
die ebenso falsche wie platte Lesart Fanons als Gebrauchsanweisung für
den bewaffneten Befreiungskampf begünstigt haben. Dazu trug sein
Ruf als Künder des gewaltsamen Aufbegehrens der unterdrückten
Massen in den drei Kontinenten ebenso bei wie sicher auch sein früher
Tod. Das Bild Fanons fügte sich nur allzu gut in den Mythos des »live
fast and die young«, und die Popularität seines Namens stand
in eher umgekehrtem Verhältnis zum Wissen über den wirklichen
Gehalt seiner Theorie. Seit Ende der 80er Jahre schien seine Theorie in
der radikalen Linken dann zusammen mit dem Niedergang der nationalen Befreiungsbewegungen
und des klassischen Antiimperialismus etwas in Vergessenheit zu geraten.
Nur antiimperialistische Rest-Zusammenhänge zückten ihr Fanon-Ticket
weiterhin gewohnheitsmäßig, wenn sie sich mit unliebsamer linker
Kritik an ihren revolutionsromantischen Projektionen auf nationale Befreiungsbewegungen
und sogenannte »kämpfende Völker« im »Trikont«
konfrontiert sahen. Vor zehn Jahren stellte Detlev Claussen daher resigniert
fest, »vergessen wurde jedoch der Begründungszusammenhang von
Fanons theoretischer Arbeit, und das kritische Potential seiner antikolonialen
Revolutionstheorie blieb unentdeckt.«1
Dieser relative Stillstand in der Diskussion um Fanons Werk sollte
mit dem Aufkommen von »Postcolonial Critique« und "Cultural
Studies" als neuer Theorieströmung an den anglo-amerikanischen Universitäten
wieder enden. Um diesen Hintergrund zu verstehen, möchte ich kurz
ein paar einführende Bemerkungen zu diesem Theoriestrang machen:
Postkoloniale Theorie (»postcolonial Critique«) lässt
sich herkunftsmäßig dem Bereich des an den anglo-amerikanischen
Akademien entwickelten Projektes der Cultural Studies zuordnen, in der
sie inzwischen einen zentralen Platz einnimmt. Hintergrund der Entwicklung
des postkolonialen Paradigmas ist der für alle Post-Diskurse kennzeichnende
»linguistic turn«, der eine Verschiebung von der Analyse ökonomischer
und materieller Prozesse zu sprachlich-diskursiven und kulturellen Hervorbringungen
von 'Wirklichkeit' markiert. Literatur- und Textanalyse gerät dabei
gegenüber der politischen Ökonomie stärker ins Zentrum der
analytischen Aufmerksamkeit. Statt der politisch-ökonomisch vermittelten
materiellen Bedingungen, unter denen die Individuen gesellschaftlich existieren,
rückten Zusammenhänge von Wissen und Macht in den Mittelpunkt
des Interesses, sowie Hegemoniebestrebungen, die sich unter anderem durch
die Festschreibung von ethnischen und Geschlechtsidentitäten durchsetzen.2
In den Cultural Studies wird kritisch an die Marx-Interpretation
Althussers sowie an Gramscis' Konzept kultureller Hegemonie und seiner
Kategorie des ›Subalternen‹ für die gesellschaftlich marginalisierten
und ausgegrenzten Gruppen angeknüpft. Diese Theorien werden mit Hilfe
einer vor allem an Lacan orientierten Psychoanalyse und den sprach- bzw.
diskursanalytischen Verfahren von Foucault und Derrida gegen den Strich
gelesen, wobei vor allem der von Derrida entwickelte Begriff der 'Dekonstruktion'
zentrale Bedeutung für fast alle postkolonialen TheoretikerInnen
hat - namentlich für führende Köpfe wie Homi Bhabha, Gayatri
C. Spivak und Stuart Hall.
Edward Said gilt mit seiner berühmten Studie »Orientalismus«
von 1979 als einer der wichtigsten Auslöser der gesamten postkolonialen
Diskussion: Durch die dort thematisierte Wirkungsmacht von Diskursen über
den Orient als imaginäres Anderes des Westens lenkte Said die Aufmerksamkeit
darauf, wie solche diskursive Konstruktionen eines inferioren ›Anderen‹
soziale Realitäten strukturieren. Die von Said einseitig dem Westen
zugeschriebene Macht, den Orient durch die alles durchdringende Einschreibung
der orientalistischen Imagination stillzustellen und so mittels kultureller
Diskurse seinem imperialen Machtanspruch zu unterwerfen, wurde innerhalb
der poststrukturalistischen Diskussion seiner Thesen allerdings kritisiert.
Said wurde u.a. von Homi Bhabha vorgeworfen, mit seinem in »Orientalismus«
entwickelten Schema den alten antiimperialistischen Täter-Opfer-Dualismus
zu reproduzieren (evtl. Verweis auf Fanon-Rezeption u. Ideologiekritik).
Mit dem im Postkolonialismus unter dem Begriff Hybridität prominent
gewordenen Konzept von Vermischung und Mehrdeutigkeit wird dem eine grundsätzliche
Ambivalenz des kolonialen Diskurses entgegenzusetzen versucht, welche
die Bedingungen antikolonialen Widerstandes zwangsläufig mitproduziert,
statt eine absolute Macht auf die Kolonisierten auszuüben.3
Von marxistischen Kritikern wird dem dekonstruktivistisch oder diskurstheoretisch
orientierten Postkolonialismus außer der Vernachlässigung materialer
sozialer Verhältnisse vor allem vorgeworfen, der postkoloniale Diskurs
blende damit auch die Grundlagen seiner eigenen Konstituierung und Verbreitung
im akademischen Milieu aus.4 Durch das Kapitalverhältnis
selbst hindurch ist im historischen Prozess die manichäische Kolonialwelt
Fanons abgearbeitet worden zugunsten der flexiblen und fragmentierten
Produktions- und Herrschaftsverhältnisse des globalisierten, postfordistischen
Kapitalismus. Die noch für den Fordismus charakteristischen festen
und national gebundenen Identitätskonstruktionen lösen sich
dabei, vor allem in den neuen globalen Mittel- und Oberschichten, in genau
die buntscheckigen und dynamisch-"hybriden" Subjektpositionen auf, die sich
im Postkolonialismus selbst als widerständig feiern. Postkolonialität
und Hybridität wird aus dieser Perspektive vor allem zu einem Projekt
kultureller Eliten, das nicht zufällig im wesentlichen von migrantischen
Intellektuellen ausgeht, die an den westlichen Akademien angekommen sind.5 Unter
den Bedingungen und krisenhaften Verlaufsformen des gegenwärtigen
globalen Kapitalverwertungszusammenhangs greifen gleichzeitig authentizitistische
Identitätsangebote der ausgrenzenden und wahnhaften Art um sich
- mit mörderischen Folgen in Form ethnisch oder religiös motivierter
Gemetzel. Um dies gesellschaftskritisch angemessen zu reflektieren, wäre
allerdings der Rückgriff auf einen systematischen Begriff vom Zusammenhang
zwischen den identitären Projektionen in den Köpfen der Subjekte
und ihren materiellen Konstitutionsbedingungen in der politisch-ökonomischen
Sphäre notwendig, was aber poststrukturalistische Theoriebildung
in der Regel als totalisierend ablehnt.
Die antikoloniale Befreiungstheorie von Frantz Fanon steht als immer
wieder zitierter Referenzpunkt gewissermaßen im Zentrum dieser ganzen
Auseinandersetzungen.
Die zunehmende Rezeption des Postkolonialismus durch Teile der deutschen
Linken führte nun auf dem Umweg über die angloamerikanische
Akademie auch hierzulande in den letzten Jahren zu einem beträchtlichen
Fanon-Revival und ist auch ein zentraler Bezugspunkt meines Buches. Die
Idee, so etwas zu versuchen, kam aber nicht aus einer nur theoretischen
oder etwa akademischen Beschäftigung. Sie entstand eher, als ich mich
vor einigen Jahren im Zusammenhang eigener internationalistischer Aktivitäten
mit revolutionsromantischen und ethnisch-nationalen Mystifikationen der
Kurdistan-Solibewegung kritisch auseinanderzusetzen begann. Dabei stieß
ich immer wieder auf Verweise auf Frantz Fanons Klassiker »Die Verdammten
dieser Erde« als eine Art Letztbegründung für das Festhalten
an einem kruden Antiimperialismus der Machart »gutes kämpfendes
Volk gegen das imperialistische Übel«. Der so geweckte Eindruck
der Notwendigkeit einer Neu-Reflektion der Fanonschen Befreiungstheorie
verband sich dann mit einem kritischen Interesse an der zunehmenden Rezeption
postkolonialer Theorie in Teilen der radikalen Restlinken.
Angesichts des in den letzten Jahren zu verzeichnenden Fanon-Booms
in den »Postcolonial Studies« lautete dabei meine Ausgangsfrage:
wieso wird eigentlich ein Theoretiker, der gemeinhin als Klassiker der
antikolonialen Revolutionstheorie der 60er Jahre gilt, heute auch und
gerade von denjenigen in Anspruch genommen, welche bipolare Entgegensetzungen
- Kolonialherr/Kolonisierter, Westen/Rest, Zivilisation/Wildheit,
männlich/weiblich etc. - ebenso wie Festschreibungen ethnischer und
nationaler Identitäten dekonstruktivistisch auflösen wollen,
und fließende, »hybride« Subjektivitäten als Grundlage
neuer kultureller und politischer Formen widerständigen Handelns verstehen.6 Deren
eher marxistisch argumentierende KritikerInnen wehren sich teilweise vehement
gegen diese Aneignung und Akademisierung Fanons für die »Post«-Diskurse
in den »Cultural Studies« und wollen sein revolutionäres
Projekt nationaler Befreiung vor der Dekonstruktion retten bzw. neu bestimmen.
Wie konnte Fanon also zu einem Begründer des klassischen Antikolonialismus
der nationalen Befreiungsbewegungen sowie eines anti-begründungslogischen
(anti-foundationalist) Postkolonialismus zugleich werden? Daraus ergibt
sich die Frage nach den in Fanons Werk wirksamen theoretischen Kategorien,
die eine solch schillernde Rezeptionsgeschichte ermöglicht haben.
Dazu ist zunächst zu sagen, dass Fanons Werk eine äußerst
eklektische Mischung aus Philosophie, Psychoanalyse, Soziologie, politischer
Theorie und autobiographischen wie fiktionalen Elementen ist. Bei den
Auseinandersetzungen um die »richtige« Fanon-Rezeption zwischen
den poststrukturalistisch argumentierenden VertreterInnen der »postcolonial
Critique« und ihren marxistischen KritikerInnen wird von letzteren
des öfteren der »psychologisierende« oder »kleinbürgerliche«
Fanon des Buches »Schwarze Haut, weiße Masken« als Fanon
der Poststrukturalisten gegen den »revolutionären« Fanon
der »Verdammten dieser Erde« als Ikone der marxistischen Antiimperialisten
ausgespielt. Im Gegensatz zu solchen Aufspaltungen lässt sich m.E.
in Fanons Werk durchaus Kohärenz und eine stringente Umsetzung seiner
bereits früh entwickelten Grundannahmen nachweisen.
Als wichtigster Strang verbindet alle Teile von Fanons Werk das
emphatische Verlangen nach einem emanzipatorisch-universellen Subjekt
der Befreiung, welches ebenso die psychischen Wunden der Kolonisierung
zu heilen in der Lage ist wie es geschichtlich handlungsmächtig werden
kann. Ich versuche daher die Analyse von Fanons Werk immer wieder um die
bei ihm durchgängig zentrale Kategorie der Subjektivität zu gruppieren.
Davon ausgehend sind die Konsequenzen zu zeigen, die sich aus Fanons hegelianisch
an der Dialektik von Herrschaft und Knechtschaft sowie an Sartres Existentialismus
orientierten Übertragung dieser subjektiven Perspektive auf die Ebene
kollektiver Identitäten und kollektiven politischen Handelns ergeben.
Damit ist natürlich auch von mir bereits eine Positionierung gegen diejenigen
poststrukturalistischen Lesarten vorgegeben, welche Fanon gewissermaßen
minus Hegelsche Dialektik und seinen existentialistischen Humanismus lesen
zu können glauben.7 Dass ich beiden hauptsächlich kursierenden
Fanon-Interpretationen kritisch gegenüberstehe, soll allerdings nicht
darauf hinauslaufen, nun fein säuberlich die jeweiligen Minus- und Pluspunkte
aufzulisten, um daraus dann nach Art einer Bilanzsumme den »korrekten«
Fanon gewinnen zu können.
Ich versuche eher, sowohl die Befreiungstheorie von Fanon selbst
als auch ihre widerstreitenden Interpretationen der postkolonialen Debatte
aus einer gemeinsamen, erkenntniskritischen Perspektive zu lesen, die den
Gesamtzusammenhang kapitalistischer Warenvergesellschaftung einbezieht.
Am Ende der „Verdammten dieser Erde“ verbindet Fanon die Forderung
nach einer Abwendung von Europa damit, dessen »einst vertretenen
großartigen Lehren«, denen der Aufklärung nämlich,
zugleich jedoch Rechnung zu tragen. Dieser Versuch von Fanons emanzipatorischer
Vision, Europa mit Hilfe von dessen eigenen universellen Werten und Begriffen
aus der Aufklärungsphilosophie zu entkommen, ist auch mit den Gründen
des Scheiterns seiner Vorstellungen von einer umfassenden Dekolonisierung
verbunden.
An das Ende dieser Einführung stelle ich noch einige biographische
Anmerkungen zu Fanon, die vielleicht die weitere Diskussion seiner Theorie
erleichtern.8 Von den heutigen postkolonialen Fanon-Interpreten
wird gerne auf seinen »hybriden« Familienhintergrund aus Nachkommen
in die Karibik verschleppter Sklaven ebenso wie indischen und europäischen
Vorfahren verwiesen. Wenn es auch etwas fragwürdig erscheinen mag,
Fanons Herkunft in Zusammenhang mit seiner Theorie zu bringen, seine Biografie
stellt ihn tatsächlich in mancherlei Hinsicht an die Grenze zwischen
den Welten, die er vor allem als manichäisch entgegengesetzte analysieren
sollte: Schwarz und Weiß, Kolonisatoren und Kolonisierte. Wenn die
Rede auf Fanon kommt, scheint so oft sein Leben und seine Person schon
die halbe Erklärung für seine Wirkung zu sein: Der in der Karibik
aufgewachsene und in Frankreich ausgebildete Psychiater, der sich schließlich
ganz dem algerischen Befreiungskampf und der antikolonialen Revolution in
Afrika verschrieb. Als Sohn einer für »schwarze« Verhältnisse
relativ wohlhabenden und auf Assimilierung orientierten Familie lernte
Fanon auf Martinique die rassistische Hierarchie einer kolonialen Gesellschaft
kennen, in der Hautfarbe und gesellschaftlicher Status direkt miteinander
verknüpft waren und seine Mutter ihn bei Unartigkeiten schimpfte, sich
nicht »wie ein Neger zu benehmen«. Der kleine Fanon, dem auch
in der Schule die Geschichte Martiniques als Teil der französischen
Geschichte und ihrer Werte vermittelt wurden, lernte sich so zunächst
als weiß und französisch zu fühlen. "Nichts zu machen, ich
bin ein Weißer. Und unbewußt mißtraue ich allem, was schwarz
in mir ist, also der Totalität meines Seins," (SHWM, S. 134) schrieb
Fanon darüber später in den autobiographischen Passagen seines
Buches "Schwarze Haut, weiße Masken". Er lernte aber in seiner Jugend
auch die Annahme des eigenen Schwarzseins als Identität durch seinen
Lehrer und späteren Freund Aimé Césaire kennen, dessen
identitätspolitisches Négritude-Konzept er dann in seinen eigenen
Schriften allerdings scharf kritisieren sollte. Als Martinique ab 1940 unter
das Regime der mit den Nazis kollaborierenden Vichy-Regierung kam, floh
der gerade achtzehnjährige Fanon nach Dominica, um freiwillig mit der
französischen Armee zur Verteidigung der humanistischen Werte der französischen
Zivilisation in den Krieg gegen die deutsche nationalsozialistische Barbarei
zu ziehen. Fanon stellte diese Erlebnisse selbst an den Anfang all seines
kämpferischen Engagements wie auch seiner Ablehnung eines ethnozentrischen
schwarzen Nationalismus, als er knapp zehn Jahre später in seinem ersten
Buch schrieb: "Was soll dieses Gerede von einem schwarzen Volk, einer Negernationalität?
Ich bin Franzose. [...]Als Menschen [...] in Frankreich eingefallen sind,
um es zu knechten, da wies mich mein Stand als Franzose darauf hin, daß
mein Platz nicht neben dem Problem, sondern mitten in dem Problem war." (SHWM,
S. 143) In der Armee des "freien Frankreich" lernte er allerdings auch
den Rassismus in deren Reihen kennen, bei einem kurzen Zwischenaufenthalt
in Nordafrika das Kolonialherrengebaren der "freien Franzosen" gegenüber
der dortigen Bevölkerung.
Nach einer kurzen Rückkehr nach Martinique, wo er die Schule
abschloss und sich im Wahlkampf seines Freundes Césaire engagierte,
der sich als kommunistischer Kandidat für die französische
Nationalversammlung aufstellen ließ, ging Fanon wieder nach Frankreich
um zu studieren. Während seines Medizinstudiums in Lyon war er mit
dem Rassismus in der europäischen Metropole konfrontiert, welcher
ihn aus genau der Kultur ausschloss, der er sich in ihren universellen
humanistischen Idealen verbunden fühlte. Nach Beendigung seines Studiums
führte ihn seine Arbeit als Psychiater nach Algerien, wo er für
eine Zeitlang die psychiatrische Klinik in Blida-Joinville leitete. In
Algerien verschwisterte sich Fanon dann mit der Sache des algerischen
Widerstandes und der algerischen Kultur, auch hier nahm er seinen Platz
"mitten in dem Problem ein". Er schloss sich der FLN an und nutzte die
Möglichkeiten seines Hospitals zur Unterstützung von deren Kämpfern,
was ihm schließlich die Verweisung von seinem Posten und aus dem
Land eintrug, der er aber durch eine eigene brieflich an den Generalgouverneur
gerichtete Bitte um Demissionierung zuvorkam. Diese war gleichzeitig eine
schneidende moralische Anklage des französischen Kolonialismus: »Der
Status Algeriens? Eine systematische Entmenschlichung, [...]eine Gesellschaft,
[...] die durch eine andere ersetzt werden muß«, heißt
es darin. In der Folge arbeitete Fanon ganz für die FLN, zunächst
an einem Hospital in Tunesien und später als deren diplomatischer
Repräsentant auf internationalen Tagungen. Gleichzeitig arbeitete er
für die FLN-Zeitung El Moudjahid und schrieb weitere Bücher.
1960 erfährt er schließlich, dass eine anhaltende Schwächung
seines Gesundheitszustandes auf Leukämie zurückzuführen
ist. Das ihm noch verbleibende Lebensjahr füllt er mit einer weiteren,
geradezu selbstmörderischen Anspannung seiner Aktivitäten. So
schreibt er "Die Verdammten dieser Erde" in einer letzten Kraftanstrengung
buchstäblich mit dem Tod im Nacken zuende - er sollte gerade noch
die Auslieferung der ersten Exemplare erleben. Nach einer ersten Behandlung
in Moskau wurde er, der sich zunächst einer Behandlung in den von
ihm als neokoloniales »Monstrum« bezeichneten USA verweigert
hatte, Ende 1961 in ein spezialisiertes Washingtoner Krankenhaus eingeliefert.
Zu spät allerdings für eine wirkungsvolle Behandlung mit den dortigen
Möglichkeiten. Frantz Fanon wurde nach seinem Tod gemäß
seinem eigenen Wunsch nach Algerien überführt und dort mit militärischen
Ehren in einem bereits befreiten Teil des Landes beigesetzt.
Auch in der FLN und der von ihm mit einer großen und oft auch
unkritisch simplifizierenden Empathie betrachteten »algerischen
Kultur« war Fanon nie ganz heimisch geworden, nicht zuletzt weil
er mit seinem »französischen« intellektuellen Hintergrund
auch dort als »Europäischer Einmischer« wahrgenommen
wurde, wie Henry Louis Gates es ausdrückt.9 Fanon hat dies
während seiner Arbeit in Tunesien selbst zu spüren bekommen,
als er einer antisemitisch unterlegten Intrige ausgesetzt war. Ein mit ihm
verfeindeter leitender Arzt am Hospital ließ hinter seinem Rücken
ein Dossier über Fanon anfertigen, in dem er als Agent Israels beschuldigt
wurde. Als "Beweise" mussten seine an Sartres "Betrachtungen zur Judenfrage"
angelehnten Ausführungen zum Antisemitismus in "Schwarze Haut, weiße
Masken" sowie seine Freundschaft mit einigen jüdischen Ärzten
am Hospital herhalten. Alice Cherki schreibt in ihrer Fanon-Biographie
über den Hintergrund dieser Geschichte, dass Fanon vom Antisemitismus
einiger seiner moslemischen Kollegen angewidert war und seine knappe Freizeit
am liebsten in der kosmopolitischen Szene von Tunis verbrachte. Cherki weist
darauf hin, dass sich Fanon dem „arabisch-islamischen Diskurs einer bestimmten
Tendenz innerhalb der FLN“ immer verweigerte, aber all diese Vorgänge
ebenso wie die damit verbundenen Machtkämpfe und Liquidierungen innerhalb
der FLN aus Loyalität nie öffentlich kritisierte.10
Eine bittere Ironie der Geschichte ist es, dass Fanon mit seiner im großartigen
Kapitel über die "Mißgeschicke des nationalen Bewusstseins"
der "Verdammten dieser Erde" dennoch formulierten Kritik an nationalistischen
Parolen wie der von der »Arabisierung der Kader« sogar das
Schicksal seines eigenen Werkes in Algerien antizipierte. Nur drei Jahre
nach seinem Tod wurde der große Theoretiker der algerischen Revolution
im Zuge der von der FLN eingeschlagenen Arabisierungspolitik öffentlich
zum nicht-arabischen Fremden erklärt, dessen Denken für die neue
algerische Gesellschaft keinen Wert besitze.
Ich möchte nun einen kurzen Abriss einiger wichtigen Punkte
in Fanons Befreiungstheorie und ihrer postkolonialen Thematisierung versuchen.
In »Schwarze Haut, weiße Masken« entwickelt Fanon
nicht nur die psycho-soziale und -sexuelle Dynamik des Rassismus, sondern
auch die erkenntnistheoretischen Grundlagen seines dialektischen Modells
antikolonialer Befreiung. Dabei kommt er zu bis heute faszinierenden
Erkenntnissen über die wechselseitigen Zuschreibungen in den konstituierenden
Prozessen des abendländischen Subjektes und seiner kolonisierten
und rassisierten Anderen. Die Attraktivität dieses Buches für
eine poststrukturalistische Lesart ergibt sich nicht nur durch die psychoanalytische
Perspektive dieses Buches, sondern vor allem aufgrund der wichtigsten
Kategorien, über die Fanon die identifizierenden Prozesse von Dominanz
und Rassifizierung dort analysiert hat: Sprache, Sehen und Begehren, Körperlichkeit
und Sexualität. Dies antizipiert den Poststrukturalismus auf eine erstaunliche
Weise, wie Stuart Hall zutreffend bemerkt.11
Zentral für diese Identifizierungsprozesse sind wechselseitige
Zuschreibungspraxen von »Eigenem« und »Fremdem«.
Sie werden für Fanon auch auf Seiten der Kolonisierten erst durch
die von der kolonialen Eroberung gesetzten Bedingungen überhaupt zur
Möglichkeit der Selbstbeschreibung: »Ein Madegasse ist kein
Madegasse: er lebt sein ›Madegassentum‹ absolut. Wenn er Madegasse
ist, so deshalb, weil der Weiße kommt« (S.72, Hervorhebung
im Original.) schreibt Fanon. In dieser erstaunlichen Formulierung scheint
bei Fanon die materialistische Erkenntnis durch, dass die koloniale Expansion
des in Europa entstandenen kapitalistischen Vergesellschaftungsprinzips
die von dieser Expansion Betroffenen in eine unwiderrufbar neue Situation
gesetzt hat. Sie wurden durch die Aufklärung in die europäische
Moderne nicht nur aus einer objektivierenden Herrschaftsperspektive als
deren Anderes eingeschrieben, sondern auch auf Seiten der Indigenen entstand
dadurch überhaupt erst die Voraussetzung für eine Vorstellung
von Identität im uns geläufigen Sinn.
Fanon entfaltet aus dem historisch geschärften Bewusstsein
um diesen widersprüchlichen Prozess heraus im vieldiskutierten Mittelteil
von »Schwarze Haut, weiße Masken« die komplexe Dialektik
der »erlebten Erfahrung des Schwarzen« (so der Titel des Kapitels).
Diese nimmt ihren Ausgangspunkt von Sartres Analyse der Selbstobjektivierung
durch den Blick des Anderen aus »Das Sein und das Nichts«.12
Fanons Beschreibung des weißen Blickes ist ein entscheidender
Topos für die Fanon-Diskussion im Rahmen der Cultural Studies. Es
ist dieser Blick, der den Rassifizierten auf sein phantasmiertes Bild
fixiert, »so wie man ein Präparat mit Farbstoff fixiert«.
Unter diesem Blick »stößt der Farbige auf Schwierigkeiten
bei der Ausbildung seines Körperschemas.« (S. 80)., es macht
»einem epidermischen Rassenschema Platz.« Es geht unter diesen
Voraussetzungen für den Schwarzen »nicht mehr um eine Erkenntnis
meines Körpers in der dritten Person (wie bei Hegel, d.A.), sondern
in der dreifachen Person, [...] verantwortlich für meinen Körper,
[...] meine Rasse, meine Vorfahren« (S. 81). Fanon behauptet daher,
dass für den Rassisierten die Hegelsche Ontologie des Selbstbewusstseins
unrealisierbar sei.
Das Resultat ist ein Minderwertigkeitskomplex, in dem für Fanon
psychologische und sozioökonomische Aspekte zusammentreffen: »Wenn
es einen Minderwertigkeitskomplex gibt, so infolge eines doppelten Prozesses:
- zunächst eines ökonomischen, - sodann durch Verinnerlichung
oder besser Epidermisierung dieser Minderwertigkeit« (S. 10). In diese
»Epidermisierung« sind die gesamten historischen Erfahrungen
von Kolonisation und Sklaverei eingeschrieben. Stuart Hall gerät über
den poststrukturalistischen Sound dieser Formulierung ganz aus dem Häuschen
- »A wonderful word, epidermalisation: literally, the inscription of
race on the skin«. Er hebt die Bedeutung der Fanonschen Analyse des
rassistischen Blicks für die postkoloniale Fanon-Diskussion hervor:
»Eine andere tiefe Quelle der gegenwärtigen Anziehungskraft
von Schwarze Haut, Weiße Masken besteht in der Assoziation, die
dort hergestellt wird zwischen dem Rassismus und dem, was man inzwischen
als scopic drive bezeichnen würde - die Erotisierung des Genießens
durch das Sehen und der primäre Platz, der in Fanons Text dem "Blick"
vom Platz des "Anderen" eingeräumt wird.«13
Hinter dem durch den weißen Blick entstandenen Körperschema,
als Hervorbringung einer Körperpolitik im Foucault’schen Sinn, steht
für Fanon also ein »historisch-rassisches Schema«, das
konstruiert ist »durch den anderen, den Weißen, der mich aus
tausend Details, Anekdoten, Erzählungen gesponnen hatte« (S.
80 f.).
Fanon arbeitet die Entwicklung der entfremdeten schwarzen Selbstwahrnehmung
vor allem auch psychoanalytisch mit Hilfe von Lacans Spiegelungstheorem
heraus. Dies wird natürlich von an Lacan orientierten Postrukturalisten
wie Homi Bhabha stark gemacht. Interessant ist, wie Fanon diesen Lacanschen
Einfluss in sein eigenes Befreiungskonzept verarbeitet hat und wie dieser
wiederum in der heutigen postkolonialen Fanon-Debatte repräsentiert
und damit (um-)bewertet wird.
Für Lacan markiert das Spiegelstadium jenen Punkt in
der frühkindlichen Psycho-Sexualentwicklung, an dem das Kleinkind
das erste mal sein Spiegelbild wahrnimmt. Entscheidend ist dabei, dass
am Urprung des »Ich«-Subjektes das Bild eines Anderen steht,
als welches das Spiegelbild zunächst wahrgenommen wird bevor es als
das Bild des eigenen Körpers erkannt wird, die Einheit des »Ich«
ist illusorisch und das Subjekt somit von Anfang an ein unabänderlich
Dezentriertes. Damit wird diese gespaltene Selbst-(V)erkennung des Subjekt-Bewusstseins
bei Lacan zu einer anthropologischen Konstante von überhistorischer
Gültigkeit. Genau davon kann aber bei Fanons Adaption des Lacanschen
Spiegelstadiums keine Rede sein. Er re-historisiert es sofort wieder und
bindet es an die kolonial-rassistische Konstellation der Vergesellschaftung
zurück:
Für Fanon »besteht kein Zweifel (…), daß der wahre
andere des Weißen der Schwarze ist und bleibt. Und umgekehrt. Nur
wird beim Weißen der andere auf der Ebene des Körperbildes
wahrgenommen, absolut als das Nicht-Ich, d.h. das Nichtidentifizierbare,
Nichtassimilierbare. Beim Schwarzen sahen wir, daß die historischen
und ökonomischen Realitäten im Spiel sind« ( SHWM, S.
178, Fn. 26). Für den Schwarzen bedeutet die imaginäre Identifikation,
dass er »sein Negersein verkennt«. Der individualpsychologische
Rahmen Lacans wird also von Fanon wieder mit der historisch vom Kolonialismus
geschaffenen gesellschaftlichen Situation verbunden.
Genau das macht aber Homi Bhabha sozusagen wieder rückgängig
und unterschiebt Fanon wieder die originär Lacansche Position »zweigeteilter
Identitäten, die nach einer Art narzisstischer Spiegelung des Einen
im Anderen funktionieren« .14 Das problematische daran ist nicht
Bhabhas Kritik an einem totalisierenden Identitätsdenken, wohl aber
die mit seinem dekonstruktivistischen Ansatz einhergehende psychologische
Anthropologisierung von Ambivalenz.
Stuart Hall hat sehr schön die politischen Folgen dieses Unterschiedes
der Lacan-Interpretation zwischen Fanon und Bhabha herausgearbeitet:
«Bhabhas Text - das Akzeptieren einer Politik der Subversion
die mit der Ambivalenz lebt, ohne diese aufzuheben zu versuchen - ist
die politische Konsequenz einer Lacanianischen theoretischen Position.
Wohingegen Fanons theoretische Position - dass diese Radikalisierung des
"Spiegelstadiums" eine "pathologische" Bedingung ist, die dem schwarzen
Subjekt vom Kolonialismus aufgezwungen wurde - die politische Frage in
sich eingeschrieben hat, wie diese Entfremdung zu beenden ist. Fanon
kann, politisch verstanden, nicht "mit dieser Ambivalenz leben", weil es
die Ambivalenz ist, die ihn umbringt!«15 Die Konsequenz
aus dieser Unmöglichkeit Fanons, Ambivalenz als auf Dauer gestellte
Subjektkondition zu akzeptieren, ist ein »tiefer Hunger nach Humanismus«
(Bhabha), der ihn auf der Suche nach einem universellen politischen Subjekt
der Befreiung umtreibt.
Die für die postkoloniale Fanon-Diskussion zentrale Frage nach
der Art der in Fanons Werk wirksamen Gegenstrategie, ob es sich dabei
nur um ein einfaches Umdrehen der identifizierenden Zuschreibungen handelte,
ergibt ein extrem widersprüchliches Bild. Wir haben zunächst
den Strang in der Entwicklung des antikolonialen Subjekts der Befreiung
in »Schwarze Haut, weiße Masken«, welcher gegen die
Annahme einer essentialistischen Identitätspolitik im Namen des
Besonderen durch Fanon spricht. Hier lehnt Fanon eine identitätspolitische
Aufwertung des Schwarzseins durch Umkehrung der rassistischen Fremdzuschreibung
als regressiv ab, wie sie etwa im Konzept der Négritude vertreten
wird.
Er schreibt in einem von den postkolonialen Fanon-Interpreten auch
sehr häufig angeführten Zitat:
»Wenn ich entdecke, daß es im 15.Jahrhundert eine Negerzivilisation
gegeben hat, verleiht mir das noch lange kein Patent auf Menschlichkeit.
[...] Ihre Entfremdung aufheben werden diejenigen Neger und Weiße,
die sich geweigert haben, sich in den substantialisierten Turm der Vergangenheit
sperren zu lassen. [...] Auf keinen Fall darf ich aus der Vergangenheit
der Völker meiner Hautfarbe meine ursprüngliche Berufung herleiten.
[...] Der Neger ist nicht. Ebensowenig der Weiße.« (S. 160ff)
Fanon fordert deshalb, die Befangenheit »im narzisstischen
Drama, jeder in seine Besonderheit eingeschlossen« (S. 36) zu überwinden
und »durch die menschliche Besonderheit hindurch das Allgemeine
anzustreben« (S.139), die universelle menschliche Subjektivität.
Fanon geht aber keineswegs so geradewegs auf seinen humanistischen
Universalismus zu, wie dies eben vielleicht erschienen ist. Er hat vielmehr
schon in »Schwarze Haut, weiße Masken« bereits die Notwendigkeit
des Durchganges durch eine spezifische historisch-kulturelle Identität
auch als ein Hindurch-Müssen behauptet, was in seinen späteren
Schriften bei seiner Begründung des nationalen Befreiungskampfes noch
deutlicher hervorgetreten ist.
Und damit kommt in augenfälligem Widerspruch zu dem von Fanon
emphatisch behaupteten Universalismus doch wieder ein partikularer Essenzialismus
ins Spiel. Dies wird auf geradezu dramatische Weise daran offenbar, wie
Fanon die eben zitierte universalistische Perspektive aus dem Schlussteil
von »Schwarze Haut, weiße Masken« in schmerzhafter Auseinandersetzung
mit Sartres »Schwarzem Orpheus« gewonnen hat. Dort hat Sartre
die identitätspolitische Négritude als »antirassistischen
Rassismus« bezeichnet, als bloße »Vorstufe eines dialektischen
Fortschrittes«, die als »negative(s) Moment die Synthese oder
die Verwirklichung des Menschlichen in einer rassenlosen Gesellschaft vorbereiten
will.«16 Dies hat Fanon zunächst geradezu mit
Empörung als Ausdruck eines westlichen Universalismus angegriffen,
der souverän über die Situation der Kolonisierten und Rassisierten
hinweggeht. »Jean-Paul Sartre hat vergessen, daß der Neger
anders an seinem Körper leidet als der Weiße« (S. 100)17 , wirft
er Sartre vor und verteidigt zunächst die Négritude : »Ich
bin keine Potentialität von irgend etwas, ich bin voll und ganz das,
was ich bin. Ich brauche das Universelle nicht zu suchen. [...] Mein
Negerbewußtsein gibt sich nicht als Mangel. Es ist« (S. 98).
Nur als tragische Notwendigkeit konnte er die Sartresche Dialektik schließlich
im selben Absatz anerkennen: »Die Dialektik, welche die Notwendigkeit
an den Stützpunkt meiner Freiheit stellt, vertreibt mich aus mir
selbst. Sie durchbricht meine unüberlegte Stellung.«
Und nur unter diesem Signum eines traumatischen Verlustes war er
bereit, die Négritude zu verwerfen und seine universalistische
Perspektive zu formulieren. Stuart Hall hat darauf hingewiesen, dass Fanons
komplexes Verhältnis zu Sartres universalistischem Humanismus eng
verbunden ist mit seinen »unresolved (unaufgelösten) oscillations«
im Verhältnis zum Nationalismus. Beides durchzieht auch tatsächlich
Fanons gesamtes späteres Werk.
Die problematischste Seite der widersprüchlichen Subjektkonstituierung
in „Schwarze Haut, weiße Masken“ besteht sicher in Fanons Blick
auf Geschlechterverhältnisse. »Aber er nutzt die Analogien zwischen
Rasse und Geschlecht nicht, um weibliche Subjektivität zu refigurieren:
Sowohl schwarze wie weiße Frauen verbleiben in seiner Darstellung
das Terrain, auf dem Männer sich bewegen und ihre Schlachten untereinander
darstellen,« schreibt die indische Literaturwissenschaftlerin Ania
Loomba über Fanon.18 Diese These lässt sich in Fanons Werk
allerdings belegen. Kommen bei Fanon Frauen als Subjekte ins Spiel, so
erscheinen sie vor allem durch das männliche Begehren strukturiert.
Äußerst umstritten ist in der feministisch-postkolonialen
Debatte vor allem Fanons Kritik an dem autobiographischen Roman »Je
suis Martiniquaise« der wie Fanon aus Martinique kommenden Schriftstellerin
Mayotte Capécia. Fanon wirft ihr vor, »von einer Art des
Heils zu träumen, die darin besteht, sich magisch weiß zu machen«
und durch die Verbindung mit einem Weißen über die daraus entstehende
Nachkommenschaft, durch »Laktifizierung« die »Rasse
weiß zu machen« - also eine Art Identitäts-Verrat.
Die Analyse des durch den Rassismus neurotisch verformten Begehrens
korrespondiert bei Fanon durch die Geschlechterperspektive auf eine,
vorsichtig ausgedrückt, hochproblematische Weise mit seiner Analyse
des Zusammenhangs von rassistischen Zuschreibung und unterdrückten
Triebwünschen. »Indem der Weiße seine Absichten auf
den Neger projiziert, verhält er sich, ›als ob‹ der Neger sie wirklich
hätte. […] Wer Vergewaltigung sagt, sagt Neger« (S. 117).
Gleichzeitig unterstellt er aber weißen Frauen die negrophobe Angst
vor der »Vergewaltigung durch einen Neger« als durch die kindliche
Sexualentwicklung bedingte Vergewaltigungsphantasie, in der die »Erfüllung
[...] eines geheimen Wunsches« zum Ausdruck käme.
Auch in Fanons ebenfalls immer wieder vermerkter Homophobie ist
diese Verbindung zwischen der Subjektkonstitution und der Konstruktion
kollektiver Identität als einer Form androzentrischer Sexualpolitik
präsent. So entwickelt Fanon die merkwürdige Idee, dass er
»auf Martinique keine manifeste Päderastie feststellen konnte.«
Zwar gibt es dort offensichtlich Männer in Frauenkleidern, »aber
wir sind weithin davon überzeugt, daß sie ein normales (sic!)
Geschlechtsleben führen.« (S. 182, Fn 45). An anderer Stelle
empört sich Fanon: »Noch nie konnte ich, ohne Ekel zu empfinden,
einen Mann über einen anderen Mann sagen hören: ›Wie sinnlich
er ist!‹«.
Diese geschlechter- bzw. sexualpolitische Dimension in Fanons Konstruktion
von Identität hängt offenbar mit seinem Subjekt der Befreiung
zusammen. Darüber lässt sich auch Fanons Hang interpretieren,
Homosexualität zu einer »white man's desease« zu erklären,
wie verschiedene postkoloniale KritikerInnen formulieren.19
Der aus einer Position von black-queer-politics argumentierende Kobena Mercer
bringt die Nähe zwischen Fanons patriarchal-zwangsheterosexuellem Diskurs
und seiner Analyse der psychosexuellen Dynamik rassistischer Zuschreibungen
mit der Formierung des schwarzen Nationalismus in Verbindung und spricht
von »einer großen Nähe zwischen Fanons machtvollsten Einsichten
in die koloniale Psycho-Sexualität und der gewalttätigen Wiedereinschreibung
homophober und misogyner Positionen, die den schlimmsten Fantasien des schwarzen
nationalistischen Narrativs entsprechen« 20 Es entspricht für
Mercer der Logik von "homosozialen Institutionen wie die revolutionäre
Partei oder den Nationalstaat", dass neben Frauen vor allem Schwule ausgegrenzt
und zum ›inneren Feind« erklärt werden.21
Es dürfte demnach mit der in Fanons Werk durchgängig präsenten
Spannung zwischen seinem emphatisch-aufklärerischen und emanzipatorischen
Universalismus und dessen befreiungstheoretischer Verankerung in einem
national-kulturellen Rahmen zu tun haben, dass er eine betont androzentrische
Subjektkonstituierung vornimmt.
Fanon hat offenbar nicht hinreichend reflektiert, dass auch Frauen
ebenso wie »Wilde« und Rassisierte im abendländischen
Diskurs seit der Aufklärung vom herrschaftlichen Bereich der Vernunft
abgespalten, der Natur zugeschlagen und als Anderes verdinglicht werden.
Identifizierung bedeutet daher für beide Gruppen »die Entfaltung
der Gleichheit des Rechts zum Unrecht durch die Gleichen«, wie Horkheimer/Adorno
in der »Dialektik der Aufklärung« schreiben.22
Als Vorlage für den Emanzipationsprozeß der Kolonisierten
dient Fanon die Hegelsche Dialektik von Herrschaft und Knechtschaft. Auf
sie beruft er sich bereits in "Schwarze Haut, weiße Masken", wenn
er dem durch "Gleichgültigkeit oder paternalistische Neugier" kaschierten
Rassismus des liberalen weißen Frankreich entgegenschleudert, er
wünsche "sich einen Kampf, eine Schlägerei" (SHWM, S. 157). Denn
erst der von Hegel in seiner Dialektik postulierte "Kampf auf Leben und
Tod" zwischen Herr und Knecht ermöglicht nach Fanons Auffassung für
das rassisierte Subjekt "die Verwandlung der subjektiven Gewißheit,
die ich von meinem Wert besitze, in allgemeingültige objektive Wahrheit"
(ebd., S155). Nur so kann das rassistische Herr-Knecht-Verhältnis in
gegenseitige Anerkennung aufgehoben werden. In dieser Hegel-Interpretation
lässt sich entgegen allen, die einen Bruch zwischen dem "frühen"
Fanon von "schwarze Haut..." und dem "reifen" seiner letzten Schriften konstruieren,
bereits "in embryonischer Form Fanons zukünftige Dialektik der Revolution"
erkennen.23
Die Erfahrung des brutalen Kolonialkrieges in Nordafrika ist das
prägende Element für den Übergang von der hegelianischen
Dialektik der Anerkennung in „Schwarze Haut, weiße Masken“ zum revolutionären
Paradigma in Fanons Hauptwerk. In den "Verdammten dieser Erde" herrscht
ein nacktes Gewaltverhältnis ohne jede Möglichkeit gegenseitiger
Anerkennung, wo dem Kolonisierten "der Gendarm und der Soldat, ohne jede
Vermittlung, [...] mit Gewehrkolbenschlägen und Napalmbomben raten,
sich nicht zu rühren." (VdE, S. 32)
Diese Situation bringt Fanon dazu, die Gewalt der antikolonialen
Revolution als Arbeit zu definieren, die auf analoge Weise, wie die Arbeit
des Knechtes zur Emanzipation gegenüber dem Herrn führt, auch
die Selbstbefreiung des kolonisierten Subjektes vermittelt: "Arbeit heißt,
am Tod des Kolonialherren zu arbeiten." Fanon weist nachdrücklich
auf diese Vermittlungsleistung der Gewalt hin: »Die Gewalt, heißt
das, wird als ideale Vermittlung verstanden. Der kolonisierte Mensch befreit
sich in der Gewalt und durch sie. Diese Praxis klärt den Handelnden
auf, weil sie ihm Mittel und Weg zeigt« (VdE, S. 72). Dies ist der
emanzipatorische Kern von Fanons Gewaltbegriff, der gegen alle Vorwürfe
festzuhalten ist, er habe die Gewalt um ihrer selbst willen verherrlicht
und einem organisch-vitalistischen Gewaltbegriff gehuldigt. Dieser Vorwurf
wurde beispielsweise von Hannah Arendt gegen Fanon erhoben.
Es ist aber eben genau dieser Vermittlungsbegriff, durch den sich
doch auch eine Mystifizierung der Gewalt bei Fanon vollzieht. Denn dadurch,
dass Fanon den Vermittlungscharakter der kolonialen Gewalt nicht im Verhältnis
zur kapitalistischen Wertvergesellschaftung im Weltmaßstab begreift,
sondern sie als Vermittlung eines »manichäischen« und
auf personalisierter Ebene verstandenen Herrschaftsverhältnisses zwischen
Kolonisator und Kolonisiertem sieht, das durch die Katharsis der revolutionären
Gegen-Gewalt von den Kolonisierten aufgehoben werden kann, verfehlt er
den abstrakten Charakter der kolonialen Gewalt als Durchsetzung verallgemeinerter
kapitalistischer Verhältnisse. Er läuft damit auf ähnliche
Weise in die Falle eines fetischistischen Verständnisses der Gewalt,
wie der traditionelle Marxismus mit seinem Begriff der Emanzipation stiftenden
Arbeit, der ebenfalls deren Charakter als untrennbarer Bestandteil des
warenproduzierenden Wertverhältnisses fetischistisch verkennen musste.
Und so kommt es, dass sich gerade auch über den Gewaltbegriff die Anschlussfähigkeit
von Fanons Befreiungstheorie an den traditionellen marxistischen Antiimperialismus
herstellte.
Die Anbindung des Fanonschen antikolonialen Befreiungsmodells an
traditionslinke Vorstellungen wurde noch erleichtert durch die spezifisch
voluntaristische Form von Subjektivität, die er in seine modifizierte
Herr-Knecht-Dialektik im Revolutionsmodell der »Verdammten dieser
Erde« einsetzt. Fanon stand vor dem Problem, in seiner antikolonialen
Befreiungstheorie auf hegelianischer Grundlage ein handlungsmächtiges
Subjekt der Geschichte einsetzen zu können, das aber gleichzeitig
frei sein musste von den Fesseln der Geschichte, in der es bisher nur als
Objekt Platz hatte. Es ist daher kein Zufall, dass Fanon auf den existentialistischen
Subjektbegriff Sartres zurückgreift, um die Selbstbefreiung des antikolonialen
Subjektes durch die »Arbeit« der revolutionären Praxis
wirkungsvoll in Szene setzen zu können. Sartre reagierte mit seinem
Konzept nämlich auf die staatsautoritäre und bürokratische
Verkrustung des Arbeiterbewegungsmarxismus im Realsozialismus, indem er,
so formulierte es Adorno, »alles auf das Moment abgestellt (hat),
das von der herrschenden Praxis nicht mehr geduldet wird, nach der Sprache
der Philosophie die Spontaneität.« Damit aber, so Adorno weiter,
»organisierte sich Sartres Philosophie in ihrer wirksamsten Phase
nach der alten idealistischen Kategorie der freien Tathandlung des Subjektes.«24
Die Spontaneität des revolutionär handelnden Subjektes verbürgt
in genau diesem Sinne auch bei Fanon die Emanzipation des kolonialisierten
»Dings« zum »an und für sich« seienden Subjekt,
dem befreiten Menschen. Damit aber gerät er in eine Falle, deren Konsequenz
Adorno mit der ihm eigenen Unbarmherzigkeit ausgesprochen hat: »Das
absolute Subjekt kommt aus seinen Verstrickungen nicht heraus: die Fesseln,
die es zerreißen möchte, die der Herrschaft, sind eins mit dem
Prinzip absoluter Subjektivität.« Auch das existentialistische
Subjekt bei Sartre bleibt für Adorno daher »an den Felsen seiner
Vergangenheit festgeschmiedet.«25 Adorno zielt hier genau auf
die Verstrickung des Aufklärungssubjekts, die ich vorher bereits an
der Geschlechterproblematik in Fanons Befreiungstheorie aufzuzeigen versucht
habe.
Auch in Edward Saids postkolonialistischer Interpretation steht
Fanons Rezeption von Hegels Herr-Knecht-Dialektik geradezu prototypisch
für die tragische Verstrickung von Imperium und Widerstand. Er beschreibt
dies als Strategie, »den Ort neu zu vermessen, und dann zu besetzen,
der für Unterwerfung reserviert ist, ihn selbstbewußt zu besetzen,
indem man dafür auf eben dem Territorium kämpft, das ehedem von
einem Bewußtsein okkupiert war, das die Subordination eines dazu
außersehenen minderen Anderen betrieb. Folglich: Wiedereinschreibung.
Die Ironie ist, daß Hegels Dialektik die von Hegel ist: er war als
erster dort, so wie die marxistische Dialektik von Subjekt und Objekt da
war, bevor der Fanon der Verdammten dieser Erde sie zur Erklärung des
Kampfes zwischen Kolonialherren und Kolonisierten benutzte.«26
Die Ironie bei Said wiederum, so ließe sich ergänzen, ist allerdings
die, dass es bei dieser von ihm als »Teil der Tragödie des Widerstandes«
identifizierten Nötigung zur Übernahme bzw. Zurückgewinnung
nicht einfach nur um »Formen (geht) [...] die von der Kultur des Imperialismus
entwickelt oder zumindest beeinflußt oder infiltriert waren«
(288). Diese Kultur des Imperialismus ist selbst durch genau die warenförmige
abstrakte Vergesellschaftung vermittelt, der sie gewaltsam zur weltweiten
Durchsetzung verhalf. Daraus resultiert die tragische Dialektik der Ungleichzeitigkeit,
dass Widerstand immer nur unter dieser buchstäblichen Voraus-Setzung
sich als "moderne" (nationale, ethnische usw.) Identität artikulieren
konnte.
Eine auf den ersten Blick radikalere Strategie bezüglich der
Frage nach der Geschichtsgebundenheit von Fanons Befreiungssubjekt verfolgt
Homi Bhabha: »Fanons Verlangen nach der Anerkennung der sich durch
›negierendes Tun‹ manifestierenden kulturellen Präsenz stimmt mit
meinem Aufbrechen der Zeitbarriere einer kulturell zusammenhängenden
›Gegenwart‹ überein.«27 Es dürfte aber nach
der bisherigen Darstellung klar sein, dass Fanon mit »negierendem
Tun« etwas handfest anderes als »kulturelle Präsenz«
gemeint hat. Bhabha bezieht die Fanonsche "Neuschaffung des Selbst" statt
auf dessen klar definiertes Befreiungssubjekt auf eine »Grenz-Gemeinschaft
der Migranten«. Er versucht in seinen Essays über Fanon immer
wieder, den Moment der antikolonialen Umwälzung, wie Fanon ihn gedacht
hat, mit Walter Benjamins Geschichtsphilosophischen Thesen zu parallelisieren.
Bhabha nimmt Benjamins Thesen vom Ausnahmezustand als Regel für die
Unterdrückten und von der revolutionären Möglichkeit einer
das Kontinuum der Geschichte aufsprengenden, „messianischen“ Jetztzeit
auf (Bhabha spricht von „disjunktiver Zeit“), um sein Konzept eines hybriden
„dritten Raumes“ zu begründen. Die im alltäglichen Ausnahmezustand
der Unterdrückten entwickelte Ethik würde nach Bhabha Transzendenz
im Sinn einer aufhebenden höheren Einheit vermeiden; sie weise gerade
dadurch weiter im Sinne alltäglicher Subversion auch in der postkolonialen
Zivilgesellschaft. Aber ebenso rätselhaft, wie Bhabhas dekonstruktivistische
Prosa oft daherkommt, bleibt seine Behauptung einer Übereinstimmung
zwischen den Geschichtsbegriffen von Fanon und Benjamin. Während die
revolutionäre Klasse als Subjekt der Befreiung bei Benjamin (hier
immer noch das Proletariat) verzweifelt die rasende Katastrophenmaschine
des Fortschritts aufhalten möchte, um aus der als Herrschaftszusammenhang
konstituierten Geschichte hinauszuspringen, will das antikoloniale revolutionäre
Subjekt bei Fanon mit einem gewaltigen voluntaristisch-existentiellen Anlauf
über den katarthischen Bruch der antikolonialen Revolution hinweg
in die Geschichte hineinspringen, um im Handgemenge der freien Tathandlung
neuen Fortschritt zu begründen.
Bei Bhabha ergibt sich außerdem der für mich kaum von
der Hand zu weisende Eindruck, dass er dabei gleichzeitig beiden den Stachel
radikaler Gesellschaftskritik zieht. Die berechtigte Kritik am hegelianischen
Aufhebungsdenken der Linken führt bei Bhabha nämlich dazu,
dass er nicht nur den sowohl bei Fanon wie bei Benjamin deutlich vernehmbaren
Ruf zur Revolution kupiert. Da er gleichzeitig mit der »Aufhebung«
auch jeden kritischen Begriff von Totalität über Bord geworfen
hat, kann er sowohl den Benjaminschen Ausnahmezustand als auch die Fanonsche
Befreiungsemphase in jene ethisch begründete Strategie von »machtaneignendem
Handeln (agency of empowerment)« überführen, die sich
bestens in den gängigen Zivilgesellschaftsdiskurs einpassen lässt,
wie er uns etwa im sozialwissenschaftlichen Umfeld der rotgrünen Regierung
hierzulande oder der britischen »New Labour«-Partei begegnet.
Was Fanon bei seiner Transformation des spontanen und subjektiven
»erschaffe ich mich selbst« aus »Schwarze Haut, weiße
Masken« in die revolutionäre Befreiungsemphase der »Verdammten
dieser Erde« im Auge hat, ist jedenfalls nicht Bhabhas hybride »Grenz-Gemeinschaft
der Migranten«, sondern die nationale Gemeinschaft der StaatsbürgerInnen.
Fanon versucht also, sein ursprünglich subjektives Befreiungsmodell,
das er in nuce bereits in »Schwarze Haut, weiße Masken«
entwickelt hatte, auf der Ebene des Nationalstaates als wirkliche Unabhängigkeit
gegen eine bloß formale Unabhängigkeit durchsetzungsfähig
zu machen, indem er auf die Begriffe des Volkes und der Kultur rekurriert.
Gerade diese beiden Begriffe oszillieren bei Fanon so schillernd zwischen
einem dynamischen und einem essenzialistischen Pol, dass sie sowohl Anknüpfungspunkte
für krudeste Antiimperialisten als auch für die elaboriertesten
Dekonstruktivisten der postcolonial Critique bieten.
Das liegt einfach daran, dass Fanon hier auf der Ebene kollektiver
Identitäten eine ähnlich widersprüchliche Bewegung vollzieht,
wie ich sie vorher auf eher psychologischer Ebene in „Schwarze Haut, weisse
Masken“ dargestellt habe. Er versucht auch hier, durch das Besondere der
nationalen Kultur zum Allgemeinen, einem umfassenden Humanismus, vorzudringen.
Dazu gibt es eine Ausführung, die Edward Said nicht müde wird,
immer wieder und wieder für seine poststrukturalistische Lesart Fanons
zu zitieren: »Wenn der Nationalismus nicht erklärt, bereichert
und vertieft wird, wenn er sich nicht sehr rasch in politisches und soziales
Bewußtsein, in Humanismus verwandelt, dann führt er in eine Sackgasse«
(S. 174).28 Fanon wollte also die Nation vor dem Nationalismus
retten, und dazu brachte er die nationale Kultur in Anschlag.
Was das „Volk“ betrifft, repräsentieren wie in anderen zeitgenössischen
Drittwelt-Befreiungstheorien die bäuerlichen Massen den wichtigsten
Träger der Befreiung. Fanon legt außerdem einen besonderen Akzent
auf die aus der vom Kolonialismus vertriebenen ländlichen Bevölkerungen
hervorgegangenen deklassierten städtischen Massen, während
er das embryonale Proletariat in den kolonialen Industrieenklaven als
privilegiert und an die Interessen der Kolonialmacht gebunden betrachtet.
Die bäuerliche Landbevölkerung bezeichnet Fanon daher
auch schon mal ganz essentialistisch und mystifizierend als »kohärentes
Volk, das in einer Art Unbeweglichkeit dahinlebt, aber dessen moralische
Werte, dessen Verbundenheit mit der Nation intakt geblieben sind«
(VdE, S. 108). In dieser Mystifikation kommt die ganze Widersprüchlichkeit
seines dialektischen Befreiungsmodells zum Ausdruck. Fanon sieht im Volk
eine »tiefere Substanz« am Werke, die aber gleichzeitig »sich
selbst mitten in einer Erneuerung befindet,« denn »wenn es
einen bewaffneten oder sogar politischen Kampf gegen den unerbittlichen
Kolonialismus gibt, ändert die Tradition ihre Bedeutung.« (S.
190) Hier kommt also wieder die kreative Dynamik der revolutionären
Aktion ins Spiel, die eine völlige Transformation der vorkolonialen
Institutionen und Werte der traditionellen Gesellschaft im und durch den
Befreiungskampf bewirken soll.
Die dynamische und zugleich doch dem konkreten geschichtlichen Prozess
enthobene tiefere Substanz des Volkes ist zugleich auch der Kern von Fanons
Kulturbegriff. Er will die existentialistisch gefasste Fähigkeit
seiner Subjekte zur freien Tathandlung in der Kultur festhalten. »Die
Kultur hat niemals die Durchsichtigkeit der Sitten. Sie entzieht sich jeder
Vereinfachung,« (VdE, S.190) betont er zwar deren komplexe Dynamik.
Fanon hat aber nun sein bereits in »Schwarze Haut, weiße Masken«
entwickeltes subjektives Emanzipationsmodell in den »Verdammten dieser
Erde« so auf den nationalen Befreiungskampf übertragen, dass
er das kreative Moment des Erfindens in den Bereich der »nationalen
Kultur« projiziert und dort aber zugleich wieder in einer verdinglichenden
Wendung festgeklopft hat. Die labile Flüchtigkeit des spontanen Aufbegehrens
sollte nämlich durch die Entwicklung »eigentümlicher Werte«
(S. 81) in einer nationalen kulturellen Identität überwunden, die
spontane Kreativität also positiv in eine organisierte Form unter Führung
der nationalen Befreiungsorganisation aufgehoben werden. Im nationalen
Befreiungskampf werden Volk und Kultur so miteinander verschweißt,
und Fanon greift an diesem Punkt bezeichnenderweise wieder zu einer regelrecht
biologistischen Metapher: »Sich für die nationale Kultur schlagen
heißt zunächst, sich für die Befreiung der Nation, der
materiellen Stammutter schlagen, durch die Kultur erst möglich wird.
Es gibt keinen kulturellen Kampf neben dem Kampf des Volkes« (S.
197, Hervorhebung U.W.).
Die wichtigsten Träger der nationalen Kultur sind die revolutionären
indigenen Intellektuellen, da sie der im Volk verwurzelten (Alltags-)Kultur
Ausdruck verleihen können. Darin besteht wieder eine Anknüpfungspunkt
zu postkolonialen Interpretationen, in der ja die »hybriden«
migrantischen Intellektuellen im Mittelpunkt stehen und gleichzeitig kritisch
an die hier nur grob umrissene Kulturkonzeption Fanons und seinen Begriff
des Volkes angeknüpft wird.
Dazu noch ein Beispiel von Homi Bhabha, der hier wieder sein Konzept
der disjunktiven, gebrochenen Zeit anbringt: "Er (Fanon) erkundet den
Raum der Nation, ohne ihn unmittelbar mit der historischen Institution
des Staates zu identifizieren. [...] Ich bin Fanon dafür zu Dank verpflichtet,
dass er eine gewisse, ungewisse Zeit des Volkes freigelegt hat."29
Bhabha zitiert Appelle Fanons, in der dieser die indigenen Intellektuellen
auffordert, sich der "schwankenden Bewegung des Volkes an(zu)schließen,
die es gerade (in diesem Augenblick) angefangen hat", und "den Ort einer
verborgenen Gleichgewichtsstörung" aufzusuchen, in der sich das Volk
befinde.30
Was Bhabha hier schlicht unterschlägt, ist die Tatsache, dass Fanon
gerade in dieser Passage seinen Diskurs auf die staatliche Nationenbildung
ausrichtet und die antikolonialen Intellektuellen als führende Kraft
auf den nationalen Aufbau verpflichtet. Keinen Zweifel lässt Fanon am
Medium dieses Kampfes: "Die Existenzbedingung der Kultur ist also die nationale
Befreiung, die Wiedergeburt des Staates" (S. 207). Und damit geht auch die
Festlegung der Intellektuellen auf eine eindeutige nationale Identität
einher. "Andernfalls kommt es zu schwerwiegenden psychoaffektiven Verstümmelungen.
Menschen ohne Ufer, ohne Grenzen, ohne Farbe, Heimatlose, Nicht-Verwurzelte,
Engel," behauptet Fanon über die katastrophalen Folgen mangelnder authentischer
Identität und beschreibt dabei ironischerweise genau die Hybridität,
auf die im Postkolonialismus als Mittel gegen den nationalen Identitätswahn
so geschworen wird.31
Was an diesem Beispiel deutlich wird, ist die Willkür, mit
der die postrukturalistischen Uminterpretationen und Entwendungen antikolonialer
- und auch kolonialer - Texte durch postkoloniale Theoretiker wie Bhabha
gelegentlich arbeiten, um in solchen Texten ihre Vorstellungen von Vermischung,
Hybridität und Unreinheit bestätigt zu finden.
Daher ist m. E. einem marxistischen Kritiker wie Neil Lazarus voll
zuzustimmen, wenn er Bhabhas Versuchen, Fanon in eine unaufhebbare Ambiguität
und Nicht-Übereinstimmung zwischen der Nation und »der historischen
Institution des Staates« einzuschreiben, entgegenhält: »In
Wahrheit allerdings verpflichtet sich Fanon genau zu solch einer ›einstimmigen‹
Sichtweise des dekolonisierten Staates, indem er unterscheidet zwischen
einem bourgeoisen Nationalismus und einer anderen (von F.) herbeigewünschten
hegemonialen Form nationalen Bewusstseins – einem liberationistischen,
anti-imperialistischen, nationalistischem Internationalismus.« Das
Problem ist allerdings, dass sich Lazarus wie die meisten marxistischen
Fanon-Interpreten selbst diesem „nationalistischen Internationalismus“ affirmativ
anschließt und damit das Fanonsche Oszillieren im Bezug auf die Nation
nachvollzieht.32
Das trifft aber nicht nur auf marxistische Fanon-Interpreten, sondern
auch wieder auf Edward Said zu: Er schreibt: »Fanons Methode, die
Wirksamkeit dieser illegalen, dieser Untergrundpartei zu zeigen, ist die,
ihre Existenz als Gegen-Erzählung zu dramatisieren, als Untergrund-Erzählung,
in Gang gesetzt von Flüchtlingen, Außenseitern und gejagten
Intellektuellen, die aufs Land fliehen und in ihrer Arbeit und ihrer Organisation
die Schwächen der offiziellen Erzählung des Nationalismus klären
und diese Erzählung zugleich untergaben.«33 Damit gibt er
zwar korrekt Fanons Schilderung von der Wandlung der kolonialen Intellektuellen
bei ihrem Durchgang durch die »Eingeweide des Volkes« wieder,
wie Fanon es selbst einmal ausdrückt, übertreibt aber deutlich
die antinationale Qualität von Fanons Beschreibung dieses Vorgangs.
Das muss auch Said selbst aufgefallen sein, denn zwei Seiten später
stellt er bedauernd fest: »Aus der Lektüre der Schlußseiten
der Verdammten dieser Erde gewinnt man den Eindruck, daß
Fanon, nachdem er sich der Bekämpfung von Imperialismus und orthodoxem
Nationalismus durch eine Gegenerzählung von großer dekonstruktivistischer
Wucht verschrieben hat, die Komplexität und identitätsfeindliche
Kraft dieser Gegenerzählung nicht explizit zu machen verstanden hat.«34 Lassen
wir einmal das Rätsel beiseite, wo Said bei Fanon eine wirklich »identitätsfeindliche
Kraft« entdeckt haben will, so fällt auf, dass Said hier wohlüberlegt
von »orthodoxem Nationalismus« als Zielscheibe der Kritik
redet und nicht von Nationalismus überhaupt. Mit einer grundsätzlichen
und materialistischen Kritik der Nation, als staatlich organisiertem Zwangsverband
zur herrschaftsförmigen Regulation der warenkapitalistischen Verhältnisse,
hat Said nichts im Sinn. Deshalb begreift er die Nation auch hauptsächlich
als »Erzählung«, zu deren Kritik man vor allem richtig
zurückerzählen muss. Said möchte denn auch »nicht
als Befürworter eines schlichten Antinationalismus missverstanden werden.«35
Mit seiner Kritik an der Übernahme des westlich-hegemonialen Stils
von Geschichtsschreibung und nationaler Identitätskonstruktion durch
viele antikoloniale Intellektuelle zielt Said ganz im Sinne Fanons letztlich
auf eine Überwindung nationaler Borniertheit in Richtung auf eine
umfassende historische Befreiungsperspektive unter Beibehaltung des Bezugsrahmens
der Nation.36 Wie wenig Said selbst diesen Spagat manchmal durchhält,
lässt sich an seinen nationalistisch-antizionistischen Ausfällen
ablesen, wenn er sich neben seiner Eigenschaft als migrantischer Intellektueller
auch als politischer Aktivist des palästinensischen Widerstands über
Israel und die palästinensische Nationalbewegung äußert
und dabei in verschwörungstheoretische und manchmal fast offen antisemitische
Ansichten abgleitet.37
Was hat es aber nun mit Fanons Kritik an den „Missgeschicken des
nationalen Bewusstseins“, wie das entsprechende Kapitel der „Verdammten
dieser Erde“ heißt, auf sich? Dort werden zunächst hellsichtig
all die Fehlentwicklungen nationaler Aneignung bereits angesprochen, welche
in den nachkolonialen Systemen vielerorts eingetreten sind - vom Weg in
die Einparteiendiktatur und der Verselbstständigung der Befreiungsarmee
zu einem neuen Militarismus über die Deformationen des Kultes um den
nationalen Führer bis zu der Gefahr, dass engstirniger Nationalismus,
Chauvinismus und neuer Rassismus im Bemühen um nationale Vereinheitlichung
durch die Hintertür wieder hereinkommen. Daher wird dieses Kapitel vor
allem aus marxistischer Perspektive immer wieder angeführt, um Fanon
als Kronzeugen gegen die traurige Realität autoritärer und korrupter
postkolonialer »Kompradorenregime« anzurufen.
Fanons Kritik des reinen antikolonialen Nationalismus ist
ganz wesentlich von seiner Verachtung die einheimische (Klein-) Bourgeoisie
geprägt. Sie macht er für die Deformationen der nationalen Befreiung
zuallererst verantwortlich. Durch die Wahrnehmung geschäftlicher
Möglichkeiten im Rahmen des Kolonialsystems konnte sie materielle
Vorteile erlangen und brennt nur darauf, die Kolonialmacht zu beerben.
»Nationalisierung bedeutet für sie ganz einfach die Übertragung
der aus der Kolonialperiode vererbten Vorrechte auf die Autochthonen,«
schreibt Fanon. Das Schicksal der indigenen Bourgeoisie besteht für
ihn darin, die dekolonisierten Länder auf den auch für Fanon
schon deutlich erkennbaren Pfad der abhängigen Entwicklung
zu führen, »als Transmissionsriemen für einen Kapitalismus
zu dienen, der, zur Tarnung gezwungen, sich heute mit der neokolonialen
Maske schmückt« (VdE, S.130). Sie ist deshalb in Fanons Augen
»keine wirkliche Bourgeoisie, nur eine kleine Kaste mit langen Zähnen,
habgierig und gefräßig, die von dem Geist des Kleingewinns beherrscht
wird und sich mit den Dividenden abfindet, die ihr die ehemalige Kolonialmacht
sichert« (S. 149).
Es wird schon deutlich, in welche Fallstricke Fanons in Bezug auf
die weitere realgeschichtliche Entwicklung der Dekolonisation durchaus
brillante Analyse gerät. Fanon kritisiert die nationale Bourgeoisie
nämlich vor allem für ihre Unfähigkeit, einen ordentlichen,
produktiven nationalen Aufbau im Sinne ihrer europäischen Vorbilder
zustande zu bringen. »Die nationale Bourgeoisie der unterentwickelten
Ländern ist nicht auf Produktion, Erfindung, Aufbau und Arbeit ausgerichtet,
sie ist ausschließlich an Vermittlungstätigkeiten interessiert«,
schimpft Fanon gleich an mehreren Stellen und spricht ihr daher den Charakter
einer »authentischen Bourgeoisie« ab (S. 128, 153, Hervorhebung
U.W). Die neokoloniale Abhängigkeit wird von ihm nur in den personalen
Kategorien von Fremdherrschaft und Ausbeutungsinteressen analysiert,
aber nicht als zwar gewaltsame und subordinierte, aber dennoch nicht
im nationalen Rahmen einfach umkehrbare Einbeziehung in einen weltweiten
und sachlich vermittelten kapitalistischen Vergesellschaftungszusammenhang.
Die fatalen Folgen dieser verzerrten Perspektive treten besonders
dort hervor, wo Fanon die »dekadente« indigene Bourgeoisie
der »Trägheit, [...] der zutiefst kosmopolitischen Bildung
ihres Geistes« (S. 127) bezichtigt.
Spätestens bei diesen Geißelungen des »Kosmopolitismus«
der indigenen Bourgeoisie und ihrer ständigen, anklagenden Identifizierung
mit Handel und Vermittlung wird deutlich, dass auch Fanon offenbar die
Übel des Kapitalismus vor allem in der Zirkulationssphäre sah
und mit dem Finanzkapital identifizierte. Bei Fanon tritt hier wie bei
den meisten antiimperialistischen Traditionsmarxisten das Problem hervor,
dass ein auf die fetischistische Unterscheidung zwischen Produktiv- und Finanzkapital
fixierter Antikapitalismus nicht nur die abstrakten Verhältnisse kapitalistischer
Vergesellschaftung durch den Wert falsch begreift, sondern durch diese falsche
Unterscheidung immer eine offene Flanke zum Antisemitismus hat. Bezeichnenderweise
werden genau diese fragwürdigen Elemente in Fanons Kritik der indigenen
Bourgeoisie von seinen marxistischen Interpreten nicht nur ignoriert, sondern
oft sogar explizit affirmiert. So wettert Epifanio San Juan Jr., vehementer
marxistischer Kritiker des postkolonialen Diskurses, in einer Suada gegen
die angeblich "weltweite Hegemonie der poststrukturalistischen Ideologie"
gegen "das eklektische Kosmopolitentum der Postkolonialität".38 Nigel
Gibson ist mit Berufung auf Fanon der Meinung, »the new huckstering
(von huckster = Straßenhändler! U.W.) middlemen of the postcolonial
dispensation stole Africa. (die neuen hökernden Mittelsmänner
der postkolonialen Verteilung haben Afrika gestohlen)«.39
Dennoch ist Fanons Kritik am nationalistischen Scheitern der Dekolonisierung
gerade heute aktueller denn je, wenn man sie als Kritik am negativen Umschlagen
der antikolonialen Emanzipation in blanke Herrschaft liest. »Im
Namen eines engstirnigen Nationalismus oder der Rasse zur Macht gekommen,
tritt die Bourgeoisie trotz den formal sehr schönen, aber vollständig
inhaltslosen Erklärungen, [...] die direkt aus europäischen
Traktaten über Moral oder politische Philosophie stammen, den Beweis
ihrer Unfähigkeit an, auch nur einen minimalen humanistischen Katechismus
herrschen zu lassen,« (S. 139) schreibt Fanon. Sie greift zur politischen
Form der Einheitspartei als repressivster und einfachster Lösung:
»Der Staat … zwingt sich in spektakulärer Weise auf, stellt
sich zur Schau, bedrängt, mißhandelt den Bürger und zeigt
ihm auf diese Weise, daß er in permanenter Gefahr ist. Die Einheitspartei
ist die moderne Form der bürgerlichen Diktatur ohne Maske, ohne Schminke,
skrupellos und zynisch« (S. 141). Auch die in den nationalen Befreiungsbewegungen
grassierenden Führerkulte kritisiert Fanon schonungslos. Dabei benutzt
er Formulierungen, die an die von Horkheimer und Adorno entwickelte These
vom racket als Urform bürgerlicher Herrschaft erinnern. Fanon kritisiert
in sarkastischen Worten »die unheilvolle Rolle des Führers«
der nationalen Partei im Zusammenhang mit deren militaristischen Strukturen:
»Sie rührt daher, daß die Partei in bestimmten Gebieten
wie ein gang organisiert ist, bei dem der Härteste die Führung
übernimmt. Man spricht gern von der Überlegenheit seiner Kraft,
und man zögert nicht, in einem komplizenhaften und leicht bewunderndem
Ton zu sagen, er lasse seine engsten Mitarbeiter erzittern« (S.
157). Liest man heute diese Zeilen Fanons über den postkolonialen
»Schmalspurfaschismus«, so könnte man meinen, er habe
damals die Schreckensvision der irakischen Baath-Diktatur in der „Republik
of Fear“ des Saddam Hussein beim Schreiben vor Augen gehabt.40
In diesem Zusammenhang kritisiert Fanon auch die ethnische Aufladung
des Nationalismus, die Regression der Partei zur klientelistischen »Stammesdiktatur«.
Fanon vertritt eindeutig ein politisches Konzept der Staatsnation und
kritisiert immer wieder aufs schärfste die Regression aufs Stammesdenken.
Keineswegs gnädiger verfährt Fanon übrigens mit der religiösen
Aufladung des nationalen Bewusstseins im Namen des Islam oder anderer Glaubensrichtungen.
Auch dabei macht Fanon jedoch zuallererst die nationale Bourgeoisie für
regressive Entwicklungen verantwortlich. Weil diese »nicht fähig
war, die Gesamtheit des Volkes aufzuklären, [...] erlebt man einen
Rückfall in die Stammespositionen; voller Ingrimm muß man den
erstaunlichen Triumph der ethnischen Gemeinschaften mitansehen« (S.
135). Dennoch zeigt gerade Fanon, dass eine einfache dichotome Entgegensetzung
von Staatsnation und Stammesnation nicht funktioniert. Wie ich vorher gezeigt
habe, ist auch Fanon genötigt, sein Nationskonzept substantialistisch
und kulturalistisch aufzuladen, um ein durch die »Arbeit« der
antikolonialen Gewalt in »Blut und Zorn geschaffenes Bindemittel«
(S. 77) für den nationalen Aufbau zu gewinnen.
So lässt sich am Ende dieser tour d'horizont durch Fanons widersprüchliche
und vielschichtige Konstruktion einer emanzipatorisch gedachten antikolonialen
nationalen Kultur festhalten: Es lässt sich in Fanons Subjekt der
antikolonialen Befreiung immer wieder eine Dialektik ausmachen, die Fanons
emanzipatorische Anstrengung nicht nur ihren eigenen Begriffen nach, sondern
auch gewissermaßen von außen, vermittelt durch die objektivierenden
Zwangsmechanismen der realgeschichtlichen Entwicklung zum heutigen globalen
Kapitalismus, unterminiert hat. Das nötigt zum kritischen Blick auf
die historischen und materiellen Bedingungen des Prozesses der Dekolonisation
sowie auf die Kategorien, in denen Fanon diesen Prozess in eine allgemeine
gesellschaftliche Befreiung überführen wollte. Die Dialektik
von antikolonialer Emanzipation und ihrem Umkippen in eine ressentimentträchtige
falsche Kapitalismuskritik des heutigen befreiungsnationalistischen Antiimperialismus
zieht sich so mitten durch Fanons Werk hindurch.
Das gilt für sein dem Denken der Aufklärung verpflichtetes
existentialistisch-humanistisches Subjektkonzept ebenso wie für seinen
Kulturbegriff, und erst recht für den Versuch, ein »umfassendes
soziales Bewusstsein« als Aufhebung des kolonialen Manichäismus
auf der Grundlage des nationalen Staates zu verwirklichen. Denn gerade
Nation und Staat sind die Institutionen, in denen die warenkapitalistische
Vergesellschaftung ihren Zwang auf die Individuen am realsten ausübt,
sie zur realen Abstraktion im wirklichen Sinn werden lässt.
Nun ließe sich einwenden, dass solche Kritik von einer heutigen,
abgeklärten und gewissermaßen aus der Vogelperspektive des
Historikers unternommenen Sicht auf die Realgeschichte der Dekolonisation
im gerade zu Ende gegangenen Jahrhundert leicht fällt, während
Fanon »in der Geschichte« war und sie sozusagen im Handgemenge
des historischen Augenblicks verändern wollte. Ein trauriges Zeichen
ist es jedoch, dass uns auch die meisten Beiträge der postkolonialen
Fanon-Diskussion zum Scheitern der emanzipatorischen Impulse der Dekolonisation
an der Realität der Zwangsvergesellschaftung ihrer Akteure zu identischen
Staatssubjekten als Ergebnis der totalen Durchsetzung kapitalistischer
Verhältnisse wenig zu sagen zu haben. Während die einen diesen
Tatbestand weiträumig umgehen, um in den Ambivalenzen und an den Rändern
des von Fanon entworfenen Subjektes dekonstruktiv subversive Potentiale
»machtaneignenden Handelns« zu entdecken, versuchen die anderen
mit Klauen und Zähnen Fanons revolutionäre Emphase zu verteidigen
und merken kaum, dass sie damit auch falsche Kategorien von Kapitalismus
und Imperialismus wiederkäuen.
Ein Kardinalfehler der allermeisten marxistischen Positionen in
der heutigen »postkolonialen« Fanon-Debatte besteht darin,
dass diese, bei aller Kritik an den Fehlern von Fanons Befreiungsemphase
im einzelnen, die universalistische Dimension in Fanons Befreiungstheorie
durch eine positive Bewegung der Aufhebung zurückgewinnen wollen
- und darüber bei der Rehabilitierung von Nation und
fester Identität als emanzipatorischen Kategorien landen. Auch Bhabha
und andere DekonstruktivistInnen wenden sich deshalb vor allem gegen Fanons
Gedanken der »›Anerkennung‹ im Hegelschen Sinn mit seinem transzendentalen,
aufhebenden Geist« als Zeichen einer vereinheitlichenden Subjektauffassung.
Das Problem ist aber, dass in den poststrukturalistischen Fanon-Interpretationen
eine Strategie der Verleugnung gegenüber der bei Fanon durchweg präsenten
Kategorie der Totalität eingeschlagen wird, welche auch einer qualifizierten
Kritik am affirmativen Gebrauch dieser Kategorie auf ihrer eigenen
Grundlage den Boden entzieht. Eine solche Möglichkeit eröffnet
sich dagegen m. E., wenn statt der dekonstruktivistischen auf eine Subjektkritik
im Sinne der kritischen Theorie oder deren wertkritischer Reaktualisierung
durch Moishe Postone zurückgegriffen wird.
Zur Verdeutlichung: Für den marxistischen Interpreten Michael
Azar hat Fanon die in der manichäischen Logik enthaltene abstrakte
Negation des »absoluten Gegensatzes« zwischen Kolonialherr
und Kolonisiertem durch seine Hinwendung zu einem »neuen Humanismus«
in eine bestimmte Negation vermittelt und so in eine »positive Negation«41 aufgehoben.
Das halte ich für eine völlig korrekte Interpretation von Fanons
Denken. Doch genau diese Auffassung der Negation der Negation als »positive
Negation« hat Adorno in seiner Auseinandersetzung mit dem Hegelschen
Systemdenken in der »Negativen Dialektik« zurecht kritisiert.
»Die Gleichsetzung der Negation der Negation mit Positivität
ist die Quintessenz des Identifizierens, das formale Prinzip auf seine
reinste Form gebracht. Mit ihm gewinnt im innersten von Dialektik das antidialektische
Prinzip die Oberhand, jene traditionelle Logik, welche more arithmetico
minus mal minus als plus verbucht.«42 Mit anderen
Worten: Dialektik wird so zu einem Nullsummenspiel und erliegt wiederum
dem Einheitsdenken, welches Dekonstruktivisten durchaus zurecht als Grundlage
der von Hegel repräsentierten Subjektauffassung kritisieren, die Identität
stets durch Ausgrenzung herzustellen genötigt ist, indem sie das Nichtidentische,
Inkommensurable wegschneidet oder sich subsumierend einverleibt. Nur, und
hier hört eben die Gemeinsamkeit zwischen Dekonstruktion und Kritischer
Theorie auch schon wieder auf, gibt Adorno deshalb den Begriff der Einheit,
der dialektischen Synthesis und der Totalität nicht einfach auf, um
einer Affirmation des Nichtidentischen das Wort zu reden. »Selbstreflexion
der Aufklärung ist nicht deren Widerruf. (…) Noch die selbstkritische
Wendung des Einheitsdenkens ist auf Begriffe, geronnene Synthesen angewiesen.
(..) Unmittelbar ist das Nichtidentische nicht als seinerseits Positives
zu gewinnen und auch nicht durch Negation des Negativen.«43
Ganz ähnlich grenzt sich Moishe Postone von Derrida ab, indem er die
Kategorie der Totalität nicht wie dieser aufgeben, sondern - wie Adorno
- kritisch gegen sich selbst kehren will. »Vielmehr ist Totalität
hier Gegenstand der Kritik. Dieser Ansatz steht […] Homogenität und
Totalisierung kritisch gegenüber. Jedoch begründet diese Kritik
Prozesse von Homogenisierung und Totalisierung aus den historisch spezifischen
Formen gesellschaftlicher Verhältnisse.«44 Postone wirft
Derrida vor, »Heterogenität affirmieren« und »quasi-metaphysisch
der Realität« einschreiben zu wollen und dabei »zentrale
Dimensionen von Herrschaft in der modernen Welt aus(zu)klammern« -
genau das wird auch dem dekonstruktivistischen Postkolonialismus von zahlreichen
marxistischen Kritikern zurecht vorgeworfen.45
Für die Frage einer angemessenen Lesart von Fanons Befreiungstheorie
in materialistischen Kategorien ist dies auch auf die Frage nach deren
Subjekt anzuwenden. Postone benennt das Kapitalverhältnis als die
»eigentümliche, historisch spezifische, abstrakte Form gesellschaftlicher
Verhältnisse, die (notwendigerweise) in verdinglichter Form existiert,«
unter denen »das moderne Individuum gesellschaftlich durch Verhältnisse
konstituiert ist, die es wiederum selbst konstituiert.«46
Es sind diese in realitätsmächtigen Abstraktionen versteinerten
Herrschaftsverhältnisse zwischen den Menschen, welche Marx zufolge die
Konstitutionsbedingungen kapitalistisch vergesellschafteter Subjekte in
so eigentümlich objektivierten Formen verlaufen lässt. Aber damit,
und das scheint mir gerade heute das Entscheidende, ist nicht die Aufgabe
der kommunistischen Hoffnung gemeint, dass die Menschen eines Tages doch
noch ihre Geschicke als Subjekte einer freien und vernünftigen Vergesellschaftung
ohne Zwang von Herrschaft gestalten könnten. Im Gegenteil: Es kann
nur darum gehen, durch die Kritik hindurch die emanzipatorischen und herrschaftskritischen
Impulse in Fanons aufklärerischer Vorstellung eines universellen Subjektes
der Befreiung vor der drohenden Regression in die Barbarei völkischer
und antisemitischer Identitätskollektive zu retten - und nicht die
existentialistisch-humanistische Subjektkonzeption bei Fanon einfach komplett
wegzuschneiden wie Homi Bhabha und andere Poststrukturalisten.
Darum geht es mir, wenn ich Fanons Theorie als eine Art Dialektik
der antikolonialen Aufklärung zu lesen versuche und sie dabei gegen
ihre eigenen Fallstricke subjektkritisch zuspitze. Fanons universalistischer
Humanismus ist daher gleichzeitig sowohl Gegenstand der Kritik als auch
das gegen alle antiimperialistischen und auch postmodernen Verkürzungen
zu Verteidigende an seiner Befreiungstheorie. Poststrukturalistische Interpretationen,
die diesen Aspekt bei Fanon verleugnen und jeden Bezug auf universalistische
Prinzipien der Aufklärung als Zeichen eines westlichen Einheitssubjektes
denunzieren, schütten daher – mindestens - das Kind mit dem Bade
aus. Und das ist nicht zuletzt deshalb unhaltbar geworden, weil heute
Fanons Schriften selbst von islamistischen Terroristen zur Rechtfertigung
ihrer Gewalttaten bemüht werden, die wie der antisemitische Vernichtungswahn
vom 11. September für die endgültige Tilgung jeder emanzipatorischen
Perspektive aus dem gewaltsamen Aufbegehren gegen Kolonialismus und Imperialismus
stehen.
Zur Erläuterung möchte ich ans Ende dieses Vortrages zwei
Beispiele stellen. Nur um darauf hinzuweisen, wie dieses Umkippen antikolonialer
Befreiung in eine anti-aufklärerische und antisemitische Ideologie
der organischen Gemeinschaft, wie sie der Islamismus verkörpert,
von linken Antiimperialisten auch noch affirmiert wird, sei hier noch zur
Abschreckung ein Gernot Zeiler aus Wien zitiert: »Fanon könnte
heute mehr denn je ein entscheidender Kompass für eine antiimperialistische
Linke sein, … Der radikale politische Islam ist in vielen Ländern,
nach der Niederlage des arabischen Nationalismus 1967, dem Scheitern seiner
radikal-linken Überwindung, der Integration ehemaliger Befreiungsbewegungen
in das neokoloniale Weltsystem und dem Herbeibomben der Neuen Weltordnung
im Irak zu einer modernen Form des antiimperialistischen und sozialen Protests
geworden, der sich nicht nur gegen die westliche Dominanz richtet, sondern
gerade auch gegen jene Strömungen, die ewiges Stillhalten und Abwarten
proklamieren.« Zeiler beklagt sich, »besonders seit dem 11.
September fürchtet die Linke sich zu beschmutzen, wenn sie für
die unterdrückten Völker Partei ergreifen soll,« und begrüßt
es dagegen, »dass der Kampf der Dritten Welt die „beschränkte
Dimension des Nationalen“ annimmt und dabei auf den Islam als ideologische
Fahne für die Erkämpfung der nationalen Emanzipation gegen den
westlichen Neokolonialismus zurückgreift.«47
Als - bewusst nicht aus dem Kontext der Auseinandersetzungen innerhalb
der deutschen Restlinken gewählte - Gegenposition dazu noch ein Zitat
von Kenan Malik, einem weiteren Kritiker des postkolonialen Diskurses:
»(Antikoloniale) Denker wie Fanon und (C.L.R.) James lehnten die
Ideen des Westens nicht ab, sondern reklamierten sie für die ganze Menschheit.
[…] Der Hass, der die Flugzeuge in das World Trade Center trieb, […] besaß
keine auch nur entfernt anti-imperialistischen oder fortschrittlichen Züge.
Und ebenso verhält es sich mit rabiatem Anti-Amerikanismus […]. An
der amerikanischen Gesellschaft und der amerikanischen Außenpolitik
ist vieles kritikwürdig. Aber dieser Anti-Amerikanismus, ob islamistischer
oder westlich radikaler Prägung, hat damit nichts zu tun. Beide Strömungen
sind Produkte des Scheiterns der anti-imperialistischen Bewegungen […].
"Heute erleben wir die Erstarrung Europas", schrieb Frantz Fanon. Europa
"hat alle Orientierung und alle Vernunft verloren und stürzt sich
geradewegs in den Abgrund. Wir sind gut beraten, ihm umgehend auszuweichen."
So warnte Fanon vor vierzig Jahren vor dem Imperialismus. Inzwischen könnte
er mit diesen Worten vor dem warnen, was sich heute als Anti-Imperialismus
ausgibt.«48
Es ist, so ließe sich ergänzen, Ausdruck einer tragischen,
negativen Dialektik der Dekolonisation, wenn heute für den sich
»antiimperialistisch« gerierenden islamistischen Terror das
gilt, was Fanon einst über die Gewalt des Kolonialismus sagte: Er
»ist keine Denkmaschine, kein vernunftbegabter Körper. Er ist
die Gewalt im Naturzustand und kann sich nur einer noch größeren
Gewalt beugen.« (VdE, S. 51)
Dies festzustellen heißt jedoch nicht etwa, dass damit der
„Krieg gegen den Terror“ der US-Regierung und ihrer Verbündeten in
einer neuen, positiven dialektischen Umkehrung affirmiert werden soll. Wenn
diese noch größere Gewalt heute von den Erben des Kolonialismus
kommt, die durchaus nicht ein emanzipatorisches Glücksversprechen anzubieten
haben, sondern eher dafür sorgen, dass die Geschichte weitergeht als
"eine einzige Katastrophe, die Trümmer auf Trümmer häuft"
(Walter Benjamin), macht das für Linke eine positive Parteinahme unmöglich.
Gerade eine solche Perspektive macht einen Blick auf Fanon notwendig,
der nicht nur die Fallstricke seiner Befreiungstheorie und des in ihr
wirkenden Subjektkonzeptes kritisiert. Sondern gleichzeitig ist mit Fanons
universeller emanzipatorisch-humanistischen Vision gegen seine antiimperialistischen
(und auch postmodernen) Liebhaber Stellung zu beziehen. Einer solchen Fanon-Lektüre
kann es auch nicht darum gehen, aus den eben im Zusammenhang des 11.9.
angesprochenen Aporien einen Ausweg weisen zu wollen in Form von irgendwelchen
Ratschlägen für linkes Politikmachen nach dem Motto "von Fanon
lernen für einen neuen Internationalismus". Dies könnte nur die
schlechte linke Tradition einer verdinglichten und ikonenhaften Fanon-Rezeption
fortsetzen. Dagegen gilt es, des von Fanon bereits in »Schwarze Haut,
weiße Masken« formulierten, radikal diesseitigen und erkenntnisoffenen
Credos einzugedenken: "O mein Leib, sorge dafür, daß ich immer
ein Mensch bin, der fragt! « (SHWM, S. 166)
1 Claussen 1991.
2 Küster 1998, S. 185.
3 vgl. Loomba, 1998, S.48f, 178; Grimm, 1997, S. 52; Mongia, 1996, S. 10; Prasad 1992, S. 80.
4 Vgl. Dirlik 1996, S. 296, der dies mit am schärfsten formuliert: "Die Komplizenschaft des Postkolonialen mit der Hegemonie liegt in der Ablenkung der Aufmerksamkeit durch den Postkolonialismus von gegenwärtigen Problemen sozialer, politischer und kultureller Herrschaft, sowie in der Vernebelung seiner eigenen Beziehung zu dem, was doch eine Bedingung seiner Heraufkunft ist, nämlich ein globaler Kapitalismus, der, wie fragmentiert in seiner Erscheinung er auch immer sei, doch als das strukturierende Prinzip globaler Beziehungen wirkt."
5 Dies ist der zentrale Kritikpunkt u.a. bei Ahmad 1996, Dirlik 1996, Friedman 1997.
6 Vgl. zur postkolonialen Diskussion um Hybridität als widerständiges Handlungspotential z.B. Pritsch 2001; Wolter 2000a; Küster 1998; Grimm 1997.
7 So etwa Homi Bhabha und Robert Young; vgl. dazu auch Lazarus 1999 und Loomba 1998, S. 147.
8 Die hier verwendeten biographischen Angaben finden sich in Geismar, 1970; Perinbam, 1982; Gordon et al., 1996, Alessandrini; 1999; Hansen/Schulz 2000; Cherki 2001.
9 Gates, 1991, S. 468.
10 Vgl. Cherki 2001, S. 150ff.
11 Hall 1996, S. 16
12Sartre, 1962, S, 338 ff.
13 Hall 1996, S. 16.
14 Bhabha 1994., S. 120.
15 Hall, a.a.O., S. 27, Hervorhebung im Original.
16 Sartre zitiert nach SHWM, S. 96 f.
17 Bezeichnend ist, wie Fanon hier in einer Fussnote zugleich nochmals die Differenz zu Sartres phänomenologischer Ontologie klarmacht und gleichzeitig seine Adaption der Hegelschen Herr-Knecht-Dialektik vorbereitet: »Auch wenn Sartres Studien über die Existens des anderen richtig bleiben (insofern ja Das Sein und das Nichts entfremdetes Bewußtsein beschreibt), so erweist sich doch ihre Anwendung auf ein Negerbewußtsein als falsch. Weil der Weiße nicht nur der andere ist, sondern der - reale oder imaginäre - Herr«! S. 175, Fn 22.
18 Loomba 1998, S. 162
19 Young1996, S. 96; Mercer 1996, S. 128.
20 A.a.O., S. 124.
21 Ebd., S. 125.
22 Horkheimer/Adorno 1988, S. 19. Zur feministischen Aneignung und Kritik der »Dialektik der Aufklärung« vergl. Knapp 1996.
23 Turner, 1996, S. 146; vgl. zu den in diesem Abschnitt diskutierten Aspekten der Transformation der Hegelschen Herr-Knecht-Dialektik durch Fanon auch Hall, 1996, S. 28f.
24 Adorno 1982, S. 59
25 Ebd., S. 60f.
26 Said 1994, S. 287, Hervorhebung im Original, etwas anders akzentuiert, aber mit durchaus ähnlichem Ergebnis schreibt auch M. Azar: »no matter what the slave does, he is bound to reproduce the very order of things and identities he attempts to destroy. [...] The odious structure, embodied by the master, remains« (kursiv i. Orig.), Azar 1999, S. 23.
27 Bhabha 1997b, S.134.
28 Vgl. Said 1994, S. 312, 358, 363; 1997, S. 88.
29 Bhabha 1997c, S. 168.
30 Ich habe das Zitat
durch die Formulierung der hier verwendeten deutschen Fanon-Ausgabe ersetzt,
bei Bhabha ist es mit "dem flottierenden Augenblick, dem das Volk gerade
Gestalt verleiht" übersetzt, vgl. VdE, S. 192.
31 Fanon, 1981, S. 185; Stuart Hall hat das Projekt der Cultural Studies in einem Interview einmal als "Ringkampf mit Engeln" bezeichnet. Vgl. D. Bloedner, iz3w 225, S. 35.
32 Lazarus 1999, S. 162, (engl.: In truth however, Fanon commits himself to precisely such a ›unisonant‹ view of the decolonised state in distinguishing between a bourgeois nationalism and another would-be hegemonic form of national consciousness - a liberationist, anti-imperialist, nationalist internationalism)vgl. S. 190 Fn. 1 zu Lazarus' apologetischer Übernahme der Phrase vom »nationalist internationalism« als »indispensability of the national liberation struggle to the wider struggle for socialism«.
33 Said 1994, S.362.
34 Ebd., S.364.
35 Ebd., S. 297.
36 Ebd., S. 406.
37 Besonders deutlich wird dies auch in seinen Kommentaren zum jüngsten Gewaltausbruch zwischen Israel und Palästinensern, vgl. z. B. seinen Artikel »Die Wut und ihr Recht«, FAZ vom 12.10.00. Dass Said sich Anfang Juli 2000 dazu hinreißen ließ, zwischen Schreibtisch und Hörsaal mal eben an die israelisch-libanesische Grenze zu jetten, um den dort abziehenden Israelis auch ein paar Steine nachzuwerfen, bevor er sich vermutlich wieder einer gelehrten Abhandlung über die Rolle des migrantischen kritischen Intellektuellen zuwandte, bedarf kaum eines Kommentars.
38 San Juan jr., 1996, S.365, 362.
39 Gibson 1999, S. 111.
40 Vgl. von der Osten-Sacken/Fatah (Hg.), 2002, darin besonders Th. Uwer, Im Sozialismus der edlen Seelen.
41 Azar 1999
42 Adorno 1982, S. 161.
43 Ebd., S. 160 f.
44 Postone 1998, S. 130 f.
45 Vgl. dazu Wolter, 2000a.
46 AaO., S. 132, vgl. Postone 1996, S. 186 ff., wo Postone den Gedanken einer Herrschaft der abstrakten Zeit unter Verhältnissen kapitalistischer Vergesellschaftung ausführlich und historisch aus einer spezifischen Konstellation gesellschaftlicher Beziehungen und Praktiken entfaltet, die in Europa auftrat und sich seit dem späten Mittelalter in einem kumulativen Prozess verdichtete.
47 http://austria.indymedia.org/display.php3?article_id=10027. Zum Autor: Bei einer Veranstaltungsankündigung zu einer Podiumsdiskussion 'Globalisierung und Nationalstaat' in der Bewegung für Soziale Befreiung (BSB) spricht er als BSB-Vertreter. Am 26. April 2002 nahmen BSB, ILS und RFL mit über 30 anderen arabischen, antiimperialistischen, antirassistischen, friedensbewegten, K-Gruppen an einer Pro Palästina Demo teil.
48 Malik 2002, S.
14; vgl. Malik 1996 für eine Kritik des poststrukturalistischen Differenzbegriffs.