Christoph Hesse

Michael Heinrich: Kritik der politischen Ökonomie. Eine Einführung

Ready cooked and dried

Michael Heinrich hat eine Einführung in die Kritik der politischen Ökonomie geschrieben, die nicht nur „gemeinverständlich“ ist (wie es bereits Kautskys „Karl Marx’ ökonomische Lehren“ von 1887 im Untertitel versprach), sondern ihrem Gegenstand erstmals auch gerecht wird.

Die Ökonomie ist eine schmutzige und unter sogenannten geistigen Leuten nicht sonderlich beliebte Wissenschaft. Sogar Marx, als er abermals in die Verlegenheit kam, politische Ökonomie studieren zu müssen, machte sich Hoffnung, „mit der ganzen ökonomischen Scheiße“ (Brief an Engels vom 2. April 1851) in wenigen Wochen fertig zu sein. Bekanntlich brauchte er noch weitere dreißig Jahre, um der Nachwelt ein Werk zu hinterlassen, das vor allem aus unvollendeten Manuskripten und persönlichen Aufzeichnungen bestand, aus welchen später u.a. die Bände zwei und drei des „Kapital“, die „Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie“ und die „Theorien über den Mehrwert“ hervorgingen.

Die Ökonomie ist indes nicht nur eine Wissenschaft, aus der die Ökonomen einen noch schmutzigeren Beruf gemacht haben, sondern ebenso Wirklichkeit. Einer verbreiteten Auffassung zufolge ist die Ökonomie eine Art Letztinstanz, von der zahlreiche Handlungen und Entscheidungen in der Welt abhängen. Folgt man der kritischen Theorie von Marx, ist sie darüber hinaus auch dasjenige, was die bürgerliche oder moderne Gesellschaft als solche erst konstituiert. Einerseits als Funktionsbereich neben anderen verselbständigt, betätigt sie sich andererseits als „unsichtbare Hand“ (Adam Smith), als welche sie aber nicht nur das eigentlich ökonomische Geschehen bestimmt, sondern gesellschaftlichen Zusammenhang stiftet. Mit der Kritik der politischen Ökonomie lassen sich deshalb nicht alle gesellschaftlichen Phänomene wie aus einem ersten Prinzip begründen, wohl aber das ominöse Ganze erklären, das wir Gesellschaft zu nennen gewohnt sind.

Gesellschaftskritik im strengen Sinn des Wortes ist immer zugleich Ökonomiekritik. Keine Hinwendung zur „Kultur“ hat die kritische Theorie von dieser Nötigung bisher freisprechen können. Auch in dieser Hinsicht lastet die Tradition der toten Geschlechter wie ein Alp auf dem Gehirne der Lebenden, wie Marx in anderem Zusammenhang gesagt hat.
Daß mit dieser Tradition ein Haufen Arbeit verbunden ist, wird jeder schon gemerkt haben, der bloß eine Literaturliste zum Thema durchgeblättert hat. Marx brachte sein halbes Leben damit zu, den Klassikern sowohl wie den vulgären Dolmetschern der politischen Ökonomie ihre Irrtümer (und zugleich den gesellschaftlichen Ursprung dieser Irrtümer) nachzuweisen. Heute ist es kaum noch jemandem zuzutrauen, allein die Marxsche Kritik der politischen Ökonomie ganz zu überblicken. Viele haben schon die Lust verloren, an sich selbst oder aber an Marx gezweifelt und sich bald einem Theoriedesign zugewandt, dessen jährlich wechselnde „turns“ auch ohne Anstrengung des Gedankens zu haben sind.

Die Ausrede, das Marxsche Werk sei zu dick und zu schwer, vorhandene Sekundärliteratur entweder schlecht oder unzumutbar, hat Michael Heinrich nun dankenswerterweise entkräftet. Auch der gutgemeinte Rat, den Marx seinerzeit an die Gemahlin eines Freundes richtete, sie möge ihre Lektüre des „Kapital“ doch der Einfachheit halber mit dem achten Kapitel beginnen, ist damit endgültig überholt. Heinrichs Einführung in die Kritik der politischen Ökonomie ist Einstieg und Überblick zugleich, also auch für Leserinnen und Leser geeignet, die gar nicht vorhaben, die Originaltexte jemals in die Hand zu nehmen. Bei Heinrich bekommen sie tatsächlich alles ready cooked and dried, wie Engels sich auszudrücken pflegte, wenn jemand die Schwerverständlichkeit der Marxschen Ausführungen beklagte. Selbst einer der wenigen Kenner der Kritik der politischen Ökonomie, der es nicht nötig hat, seine Kenntnis zu einem Glaubensbekenntnis auszubauen, verfügt Heinrich über die noch seltenere Gabe, schwerverständliche Sachverhalte leichtverständlich darstellen zu können, ohne die Sache allerdings dadurch zu vereinfachen. Zentrale Einsichten der neueren Marx-Diskussion seit den sechziger Jahren, die bisher im wesentlichen ein Fachdiskurs unter Marxologen geblieben ist, werden damit hoffentlich einem breiteren Publikum zugänglich gemacht. Auch manche „Experten“ übrigens werden Heinrichs sehr klare und unprätentiöse Darstellung zum Anlaß nehmen können, das ein oder andere Mißverständnis aufzuklären oder alte Gewißheiten zu überprüfen.

Der Aufbau des Buches folgt grob dem Gang der Darstellung im Marxschen „Kapital“: von Ware und Geld bis zur trinitarischen Formel. Dem Fetischismus der bürgerlichen Verhältnisse ist ein eigenes Kapitel gewidmet, darin auch ein Exkurs zum Antisemitismus, den Heinrich als bornierte Negation jenes Fetischismus bezeichnet. Einleitend finden sich einige notwendige Bemerkungen über den mehr als feinen Unterschied zwischen Marx und Marxismen sowie über Gegenstand und Methode der Kritik der politischen Ökonomie, die man sich landläufig als Theorie des Kapitalismus oder schlimmstenfalls als sozialistische Volkswirtschaftslehre vorstellt.
Ergänzend zu den im engeren Sinn ökonomiekritischen Darlegungen hat Heinrich ein Kapitel angefügt über den Zusammenhang von Staat und Kapital, ein weiteres über den „Verein freier Menschen“ (Marx), der nach dem bis dahin Gesagten nur jenseits von Ware, Geld, Kapital und Staat überhaupt vorstellbar ist. Die Kritik der politischen Ökonomie kann allenfalls negativ Auskunft darüber geben, wie das Glück einer künftigen Menschheit beschaffen sein könnte. Ihre Absicht ist nicht, ein konkretes Modell von Freiheit zu entwerfen, sondern Unfreiheit zu kritisieren. Damit fängt es an.

Michael Heinrich: Kritik der politischen Ökonomie. Eine Einführung, Stuttgart 2004 (Schmetterling Verlag), 234 S.