Christoph Hesse

Bernd Kleinhans: Ein Volk, ein Reich, ein Kino. Lichtspiel in der braunen Provinz

Ein Volk, ein Reich, ein Kino.

Der Nationalsozialismus, so haben die Mitarbeiter des emigrierten Frankfurter Instituts für Sozialforschung schon damals erkannt, war nicht der plötzliche Einbruch einer grausamen Vorzeit, sondern eine durchaus moderne Bewegung. Von deren ‚Modernität’ zeugt, gleichsam als harmloses Vorspiel zu Vernichtungskrieg und industriellem Massenmord, auch das Verhältnis der Nazis zum Film. Bereits seit Mitte der zwanziger Jahre spielen die dem Film grundsätzlich kritisch gegenüberstehenden Kräfte in der NSDAP praktisch keine Rolle mehr. Die Aufwertung des Films als Kunst, die sich in jener Zeit allgemein vollzog, wurde auch von führenden Nationalsozialisten energisch vorangetrieben. Bis zuletzt war Joseph Goebbels von der Idee besessen, dem als ‚jüdisch’ denunzierten amerikanischen Film eine deutsche Volkskunst entgegenzusetzen.

Daß die nationalsozialistische Filmproduktion nicht nur im engeren Sinn politische Propaganda betrieben, sondern ebenso ‚leichte’ Unterhaltungsfilme und Lustspiele hervorgebracht hat, die bis heute regelmäßig im Fernsehen gezeigt werden, ist bekannt; strittig bisweilen, in welchem Verhältnis politische Demagogie, künstlerische Gestaltung und scheinbar unverfängliche Unterhaltung in den verschiedenen Filmen zu bewerten sind. Kaum beachtet, meint Bernd Kleinhans in seiner Studie über das Kino im Dritten Reich, habe man dagegen die Frage, in welchem Umfang und in welcher Weise das nationalsozialistische Filmangebot tatsächlich rezipiert wurde. Danach aber sei letztlich zu beurteilen, inwiefern das von den Nazis sehr bewußt eingesetzte Massenmedium Film seine gewünschte Wirkung habe entfalten können. Nicht nur die Konzeption der Filme und Filmgattungen, auch die Organisation des Kinobetriebs im damaligen Reichsgebiet sowie die Reaktionen des Publikums müßten genauer untersucht werden, um sich in etwa eine Vorstellung davon machen zu können, wie es um die ‚Volksgemeinschaft’ in den Kinos bestellt war.
Kleinhans will „erstmals einen Überblick über die gesamte Kinosituation im Dritten Reich und die Instrumentalisierung der Lichtspieltheater für die NS-Propaganda“ geben (S.11). Das Hauptaugenmerk liegt dabei auf der ‚braunen Provinz’, wo man sich vom inszenierten Glanz des Führerstaats überhaupt nur durch den Film einen Eindruck machen konnte. Auf relativ engem Raum gibt Kleinhans eine Vorstellung davon, welche Bedeutung der Film für die Masse der Bevölkerung damals gehabt haben mag (und welche Bedeutung ihm von seiten der Partei zugewiesen wurde). Für Filmhistoriker dürfte vor allem das empirische Material aufschlußreich sein, das nicht nur vage Gewißheiten über das NS-Filmwesen untermauert, sondern zudem gängige Vorannahmen in Zweifel zieht, was die propagandistische Wirkung betrifft, die man in Anbetracht der ästhetischen Konzeption vieler Filme gemeinhin als selbstverständlich annimmt.

Filmanalytisch hat die Studie dagegen nur wenig anzubieten; auch Theorien über Nationalsozialismus und Antisemitismus, anhand deren die von Kleinhans angeführten Filmbeispiele genauer zu interpretieren wären, bleiben außen vor. Kleinhans schreibt eine kurze Geschichte des Kinos im Dritten Reich, keine des Films. Dargestellt werden in erster Linie die Organisation des NS-Kinobetriebs und das Publikumsverhalten in Stadt und Land.
Von Beginn an setzten die Nazis, die bereits vor ihrem Machtantritt über ein funktionierendes Filmnetzwerk verfügten, auf die Gleichschaltung des Kinos, der Filmkunst ebenso wie der Filmwirtschaft. Damit verbunden war die allmähliche Verdrängung der Juden aus dem Filmgeschäft, die spätestens mit der Reichspogromnacht 1938 abgeschlossen war. Kleinhans zeigt, wie die schon zur Weimarer Zeit bestehende Monopolstellung der Ufa der Gleichschaltung durch die Nazis entgegenkam. Die Tatsache, daß bereits zahlreiche Kinos auch in der Provinz an den Konzern angeschlossen waren und daneben nur noch relativ wenige unabhängige Betreiber existierten, erleichterte nicht nur die zentralisierte Versorgung und Überwachung der Kinos, sondern ebenso die ‚Arisierung’, die durch Einschüchterung, Enteignung und Vertreibung jüdischer Kinobesitzer bald darauf erfolgte. Die Kinobetreiber zeigten sich zumal in der Provinz oft sehr gefällig, um ihrem eigenen Kino Konkurrenzvorteile zu verschaffen, wenn es darum ging, Filmkopien schneller zu bekommen als andere. Die offiziellen Verordnungen sahen im wesentlichen so aus, daß die Betreiber neben dem üblichen Spielfilmangebot die Wochenschauberichte und Lehrfilme in die Vorführungen aufzunehmen und regelmäßig Propagandaveranstaltungen der Partei in ihren Kinos stattfinden zu lassen hatten, wie sie etwa anläßlich von „Filmvolkstagen“ oder „Jugendfilmstunden“ der HJ im ganzen Reich durchgeführt wurden.
Das Spielfilmangebot im Dritten Reich war zunächst, wie in der Weimarer Republik, weiterhin international, also nicht nur auf deutsche Produktionen beschränkt. Der Anteil ausländischer, vor allem amerikanischer Filme, der anfangs mehr als ein Drittel des Angebots ausmachte, ging jedoch stetig zurück, bis in den Kriegsjahren schließlich ausländische Filme allesamt verboten wurden. Goebbels’ Vorhaben eines einheitlich gelenkten Staatskinos mochte sich bis zur Kapitulation nicht mehr realisieren lassen; die Gleichschaltung des deutschen Films, damit einhergehend auch eine Verödung und Verbiederung der Filmkunst, die das Reich noch um mindestens zwei Jahrzehnte überdauerte, ist den Nazis bereits in wenigen Jahren gelungen.
Sowenig man Grund hat, das künstlerische Niveau der Nazifilme zu überschätzen, sowenig sollte man die Bedeutung des Films im Dritten Reich insgesamt überbewerten. Die enorme Rolle, welche die Filmkunst hier gespielt haben soll, könnte sich selber als Propagandatrick herausstellen, auf den spätere Beobachter offenbar allzu gerne hereinfallen. Zwar ist bemerkenswert, welche Bedeutung die Nazis der Filmproduktion bis zum Schluß beimaßen (wie das Beispiel Kolberg [Veit Harlan, 1944] zeigt) und wie groß das Publikumsinteresse an Filmen war, die gegen Ende des Krieges wohl mehr der Ablenkung als der moralischen Ertüchtigung gedient haben dürften. Das empirische Material, das Kleinhans anführt, verdeutlicht aber zunächst, wie vergleichsweise zurückhaltend der Kinozuspruch damals in Deutschland, gemessen etwa an den USA und Großbritannien, gewesen ist. Goebbels’ These, daß das mangelnde Interesse der Deutschen am Kino, das sich infolge der Weltwirtschaftskrise von 1929 und einer kurzzeitigen Rezession der Filmindustrie bemerkbar gemacht hatte, vor allem auf die ‚Schundfilme’ jener Jahre zurückzuführen sei und durch eine nationalsozialistische Filmkunst erst wirklich geweckt werden würde, läßt sich zumindest anhand der vorliegenden Statistiken nicht bestätigen; auch verglichen mit dem Publikumsverhalten in Deutschland vor 1933 sind die Besucherzahlen im Dritten Reich nicht merklich angestiegen. Offenbar sprang das Publikum nicht prompt mit dem Enthusiasmus auf die Filme an, die einem Film- und Presseberichte aus jener Zeit suggerieren. Daraus muß man noch keineswegs den Schluß ziehen, es habe gegen den Nationalsozialismus nennenswerte Vorbehalte von seiten der breiten Bevölkerung gegeben; Entschuldungsmythen dieser Art liegen Kleinhans ganz fern. Eher ist erstaunlich, wie wenig sich die Zustimmung zum Regime, die sich zunehmend deutlicher abzeichnete, auch in einer flächendeckenden Begeisterung für das Kino äußerte, das die Nazis mit feierlichem Ernst betrieben und bis in die entlegensten Flecken des Reiches verbreiteten. Der cultural lag, von dem man in bezug auf Deutschland und seine ‚Sonderwege’ gelegentlich gesprochen hat, könnte mithin auch darin zum Ausdruck kommen, daß der Film selbst in den dreißiger Jahren, nachdem die bis heute gern beschworene Zeit des großen deutschen Kinos bereits passé war, den kulturellen Alltag vieler Menschen noch gar nicht wirklich erreicht hatte. Nicht nur mit Autobahnen, auch mit Filmvorführungen in der Provinz hätten demnach erst die Nazis das Land ‚modernisiert’.

Das NS-Filmangebot charakterisiert Kleinhans anhand von vier Beispielen: Leni Riefenstahls Triumph des Willens, der bis dahin aufwendigste Film, den die NSDAP um ihren Nürnberger Reichsparteitag von 1934 inszenieren ließ; die antisemitischen Hetzfilme Jud Süß von Veit Harlan und Der ewige Jude von Fritz Hippler, beide wie zur ideologischen Vorbereitung der ‚Endlösung’ 1940 in die Kinos gekommen; Unterhaltungsfilme wie Wenn wir alle Engel wären (Carl Froelich, 1936) mit Heinz Rühmann, die die von Goebbels gewünschte unmerkliche Propaganda für den ‚deutschen Volkscharakter’ betrieben; schließlich die als Vorfilme gezeigten Wochenschauberichte, die ihre größte Beliebtheit in den ersten Kriegsjahren verzeichneten. Man erinnert sich an Adorno, der meinte, daß den Deutschen der Luftkrieg ganz gut gefallen habe, solange er gegen die andern ging, das heißt: solange die Stuka-Angriffe auf der Leinwand und nicht als ‚Bombenterror’ in der Nachbarschaft stattfanden.
Angesichts der in der Öffentlichkeit zuletzt bekundeten Sympathien etwa für Leni Riefenstahl nimmt sich Kleinhans’ Buch erfreulich distanziert und sachlich aus. An keiner Stelle hat man den Eindruck, der Autor erliege der angeblichen Faszination jener Filme, die andere bereits eilig als Kunstwerke zu rehabilitieren suchen. Seine am Schluß geäußerte Befürchtung, „daß die Filme des Dritten Reiches irgendwann mächtiger werden können als das Wissen um die Verbrechen des Regimes“ (S.200), ist so abwegig nicht. Gegen solche Ästhetisierung der Politik dürfte die sachliche Beschäftigung mit diesen Filmen aber kaum ausreichen.

Bernd Kleinhans: Ein Volk, ein Reich, ein Kino. Lichtspiel in der braunen Provinz, Köln: PappyRossa 2003, 229 S., € 14,95

(erschienen in: Medienwissenschaft Nr. 1/2004)